08 Gesellschaft 09 © PIQSELS .COM | FRUGV Welche psychologische Regel unseres Gehirns machen sich die Terroristen dabei eigentlich zunutze? Ereignisse mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit, bei denen viele Menschen plötzlich getötet werden, sogenannte Schockrisiken (dread risks), bringen eine unbewusste Faustregel zur Anwendung: Wenn viele Menschen gleichzeitig sterben, reagiere mit Furcht und vermeide die Situation. Dabei gilt die Furcht nicht dem Sterben an sich, sondern dem Umstand, dass viele Menschen zur gleichen Zeit – oder in kurzen Zeitabständen – gemeinsam ihr Leben verlieren. Bei solchen Anlässen, etwa den Anschlägen vom 11. September, reagiert unser evolutionär geprägtes Gehirn mit großer Angst. Doch wenn genauso viele oder mehr Menschen über einen längeren Zeitraum verteilt sterben, beispielsweise bei Auto- und Motorradunfällen, bleiben wir eher gelassen. Allein in den USA sterben jedes Jahr rund 35000 Menschen bei Verkehrsunfällen, trotzdem haben nur wenige Leute beim Autofahren Angst. Anders als manchmal behauptet wird, liegt das nicht einfach an dem psychologischen Aspekt, dass Menschen beim Autofahren – im Gegensatz zum Fliegen – Kontrolle haben. Leute, die neben oder gar hinter dem Fahrer sitzen, haben auch keine Kontrolle und trotzdem wenig Angst. Paradoxerweise haben wir keine Angst davor, bei einem Unfall zu sterben, sondern zusammen mit vielen anderen umzukommen. Wir fürchten den seltenen Kernkraftwerksunfall, nicht die stetige Sterberate, die die Luftverschmutzung durch Kohlekraftwerke bewirkt. Wir fürchten die Schweinegrippepandemie, nachdem mehrere zehntausend mögliche Todesfälle angekündigt wurden – zu denen es nie kam –, während nur wenige Angst davor haben, zu den Zehntausenden zu gehören, die jedes Jahr tatsächlich der normalen Grippe zum Opfer fallen. Woher kommt dieser Hang, Schockrisiken zu fürchten? Wahrscheinlich gab es eine Zeit in der Menschheitsgeschichte, als dies eine vernünftige Reaktion war. Über weite Strecken der Evolution lebten die Menschen in kleinen Verbänden von Jägern und Sammlern, die zwanzig bis fünfzig Personen umfassten und selten mehr als hundert Mitglieder aufwiesen – ähnlich entsprechenden Verbänden, die es heute noch gibt. In so kleinen Gruppen konnte der schlagartige Verlust vieler Leben das Risiko erhöhen, Raubtieren zum Opfer zu fallen oder zu verhungern, und damit das Überleben der ganzen Gruppe gefährden. Doch was in der Vergangenheit vernünftig war, muss es heute nicht mehr sein. In modernen Gesellschaften ist das Überleben des Individuums nicht mehr auf die Unterstützung und den Schutz von Kleingruppen oder Stämmen angewiesen. Trotzdem lässt sich diese psychologische Reaktion immer noch leicht hervorrufen. Bis auf den heutigen Tag sind reale oder vorgestellte Katastrophen in der Lage, Panikreaktionen auszulösen. Der zweite Schlag der Terroristen geht in seiner Wirkung sogar noch über die geschilderten Zusammenhänge hinaus. Er hat zu einer Aufweichung der Bürgerrechte geführt: Vor dem 11. September galten Leibesvisitationen ohne triftigen Grund als Menschenrechtsverletzungen; heute hält man ihre Duldung für eine Bürgerpflicht. Dafür sind wir bereit, einiges hinzunehmen – in langen Schlangen auf Flughäfen ausharren, Flüssigkeiten in Plastiktüten verstauen, Schuhe, Gürtel und Jacken ablegen, den eigenen Körper von Fremden abtasten lassen. Höhere Ausgaben für Flugsicherheit haben im Gegenzug zu schlechteren Dienstleistungen und beengtem Sitzen geführt, als würden die Fluggesellschaften um den schlechtesten Service konkurrieren. Die Menschen sind ängstlicher geworden, sind nicht mehr so unbeschwert wie früher. Nicht zuletzt haben die Kriege in Afghanistan und Irak mehr als eine Billion Dollar gekostet, vom Leben Tausender Soldaten und einer sehr viel größeren Zahl von Zivilisten ganz zu schweigen. Diese finanziellen Belastungen haben vermutlich auch eine Rolle gespielt beim Ausbruch der Finanzkrise 2008. Resilienz ist die Fähigkeit, Stress zu bewältigen und ohne nachteilige Auswirkungen wieder in das normale Verhalten "zurückzuspringen". Wenn wir wissen, woher die Angst vor Schockrisiken kommt, wenn wir lernen, sie zu bekämpfen, indem wir uns gegensätzliche Gefühle zunutze machen, falls uns die Vernunft nicht weiterhilft, und wenn wir die Risiken des Fliegens richtig einzuschätzen lernen, dann verfügen wir schon über drei Instrumente der Risikokompetenz. Sollte sich jemals ein ähnlicher Anschlag wiederholen, werden wir unsere Gehirne nicht mehr so leicht für einen zweiten Schlag missbrauchen lassen. Kommen wir noch einmal auf die Frage zurück, die ich oben gestellt habe: fliegen oder fahren? Nehmen wir wieder an, Sie leben in New York und möchten nach Washington reisen. Sie haben nur ein Ziel: lebend anzukommen. Wie viele Kilometer müssten Sie mit dem Auto fahren, bis das Risiko eines tödlichen Unfalls genauso hoch wäre wie bei einem Nonstopflug? Diese Frage habe ich bei PT-MAGAZIN 5 2022 meinen Vorträgen Dutzenden von Expertengremien gestellt. Die Antworten waren bunt gemischt: 1000 Kilometer, 10000 Kilometer, dreimal um die Erde. Doch die genaueste Schätzung lautet: 20 Kilometer. Wenn Sie mit Ihrem Auto heil am Flughafen ankommen, haben Sie den gefährlichsten Teil Ihrer Reise wahrscheinlich schon hinter sich. Sind wir vom Umgang mit Risiken überfordert? Wie können so viele Menschen nicht merken, dass sie die Niederschlagswahrscheinlichkeit nicht verstehen? Ungewollte Schwangerschaften und Abtreibungen in Kauf nehmen, weil sie den Unterschied zwischen relativen und absoluten Risiken nicht kennen? Oder sogar vom Regen in die Traufe kommen? Schließlich leben sie mit den M PREISTRÄ GER Großer Preis des MITTELSTANDES Niederschlagswahrscheinlichkeiten und Pillenängsten seit Mitte der 1960er Jahre, und die Angst vor Schockrisiken wiederholt sich mit jeder neuen Bedrohung, vom Rinderwahnsinn über SARS bis zur Vogelgrippe, in einem scheinbar endlosen Kreislauf. Warum lernen die Menschen nicht? Nach Meinung vieler Experten sind die Menschen hoffnungslos überfordert. Versuche, sie von ihren Irrtümern zu befreien, schlügen in der Regel fehl. Ausgehend von dieser zutiefst pessimistischen Einschätzung der allgemeinen Öffentlichkeit, wurde sogar eine Liste mit Verstößen präsentiert, die wir "Homer Simpsons" gegen die Vernunft begehen. In populärwissenschaftlichen Büchern hat man diese Botschaft rasch aufgegriffen und verkündet nun, Homo sapiens sei "vorhersagbar irrational" und brauche "Anstöße" zum vernünftigen Verhalten durch die wenigen zurechnungsfähigen Menschen auf der Erde. Ich sehe das anders. Unser Bildungssystem ist erschreckend blind im Hinblick auf Risikointelligenz. Wir lehren unsere Kinder die Mathematik der Sicherheit – Geometrie und Trigonometrie –, aber nicht die der Ungewissheit: statistisches Denken. Und wir unterrichten unsere Kinder in Biologie, aber nicht in Psychologie, die ihre Ängste und Wünsche prägt. Selbst viele Experten sind nicht dazu ausgebildet, der Öffentlichkeit Risiken verständlich zu vermitteln, was höchst schockierend ist. Und es kann durchaus Interesse daran bestehen, die Menschen zu erschrecken: um einen Artikel auf die Titelseite zu bekommen, Menschen einzureden, die Abschaffung der Bürgerrechte sei legitim, oder ein Produkt zu u I T T E L S T A N D Der Mittelstand – Impulsgeber mit Innovationskraft 5,6 Billionen Euro Umsatz, 40,65 Millionen Beschäftigte, 6,1 Millionen Betriebe & Selbst ständige – 1 Kraft. Der Mittelstand ist das Fundament der deutschen Wirtschaft, und seine Innovationskraft ist der Garant für wirtschaftlichen Fortschritt und Wohlstand. Wir von PFLITSCH, dem Experten für industrielles Kabelmanagement und Innovations treiber für wegweisende Lösungen zur Kabelführung, Kabeleinführung und Kabelschutz, gehören dazu und sind stolz darauf. www.pflitsch.de
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