34 Wirtschaft 35 © PIQSELS.COM | ZWPFK Wachstum eine Gefahr. Immer mehr Menschen in immer kooperativeren, dezentraleren und kollaborativeren Strukturen an immer komplizierteren Produkten und Dienstleistungen arbeiten zu lassen, ohne dabei die notwendige Struktur- Resilienz zu schaffen, macht Wachstum zu einer Wette. Viele Unternehmen fahren so mit 300 km/h in eine enge Kurve. Jeder Windstoß gefährdet so alles. Und Wind gibt es in einer so noch nie dagewesenen volatilen Marktlage reichlich. Manches zu unterlassen und erst die notwendigen Sicherheitsnetze einzuziehen, könnte manche Krise vermeiden helfen. In vielen Fällen wäre auch Downsizing, also strategisches Schrumpfen statt des anscheinend unvermeidlichen Wachstumspfades der bessere Weg. Kleine und starke Einheiten sind resilienter und weniger gefährdet als große und stark wachsende – auch, weil sie weniger Notwendigkeit haben, sich vertrieblich anzubiedern und deswegen weniger öffentlich sichtbare Angriffsfläche bieten. Krisen entwickeln sich, sie entstehen nicht spontan Wenn es drauf ankommt, stehen im Unternehmen in der Regel nicht die geeigneten Experten, Akteure und Multiplikatoren parat und es fehlen die Kompetenzen, um eine strukturierte, strategische sowie fundiert kommunikative und operative Gegenoffensive zu starten – sei es in den Medien oder bei den relevanten Share- und Stakeholdern. Es gilt im Fall der Fälle, gleichermaßen das eigentliche Problem, also die Ursache der Krise, zu lösen und sich mit Aggressoren und der Öffentlichkeit auseinanderzusetzen. Krisen sind immer auch ein Kampf um die Deutungshoheit, bei dem Aggressoren sowohl auf dem Schlachtfeld der Krise selbst als auch in der öffentlichen Wahrnehmung zurückgedrängt werden müssen. © PIQSELS.COM | SUBLR Krisen eskalieren in der Regel über einen längeren Zeitraum. Wenn nicht gerade ein Unfall passiert oder eine plötzliche menschliche Tragödie eine Krise auslöst, gibt es in der Regel Warnsignale, die sich erkennen lassen. Werden die Warnsignale ignoriert, eskaliert die Krise. Neun Ebenen der Kriseneskalation Auf insgesamt neun Ebenen findet eine Kriseneskalation statt. Dabei sind die einzelnen Ebenen je nach Eskalationsphase interdependent. Das Schema einer Krise ist fast immer dasselbe, jedoch passieren mehrere Dinge parallel, nicht immer linear und jeder Fehler in der Krisenreaktion kann unvorhersehbare Auswirkungen haben. So kann die unbedachte Aussage eines Unternehmenspressesprechers schnell aus einem kleinen und harmlosen Leck in einem Kühlaggregat in den Medien und somit in der Öffentlichkeit einen großen Betriebsunfall werden lassen. Beide Seiten, sowohl potenzielle Aggressoren als auch angegriffene Unternehmen, agieren und interagieren auf diesen neun Ebenen der Kriseneskalation: • Detektieren: die Gefahrenlage und deren Umfeld beobachten, Schwachstellen finden, Angriffsziele analysieren (Monitoring) • Vorbeugen: Schwachstellen beseitigen, Sicherheitslücken schließen und Aufklärung betreiben (Intelligence) • Schützen: geeignete Verteidigungslinien und -stellungen aufbauen, Notfallpläne entwickeln (Protection) • Abschrecken: vorhandene Ressourcen PT-MAGAZIN 5 2022 PT-MAGAZIN 5 2022 optimieren und inszenieren und diese gezielt zur Abschreckung potenzieller Gegner einsetzen (Deterrence) • Verhandeln: offen oder verdeckt, über die Medien oder in direkten Verhandlungen, mittels Unterhändlern oder weiterer Konfliktbeteiligter, über Multiplikatoren, Verbündete oder Interessengruppen werden Konflikte strategisch eskaliert oder deeskaliert – je nach Gemengelage (Negotiations) • Verbünden: gestalten eines wehrhaften Netzwerks, schmieden von Bündnissen und Allianzen auf wirtschaftlicher, politischer, medialer und gesellschaftlicher Ebene (Task Forces) • Verteidigen: Angriffe abwehren, Krisenstäbe einrichten, Bedrohungs- und Aggressionsszenarien entwickeln und umsetzen (Defence) • Zurückschlagen: gezielten Gegenschlägen, die Aggressoren unter Druck setzen und für organisatorische und mediale Geländegewinne sorgen (Counterstrike) • Wiederherstellen: die Reputation und die unternehmerische Infrastruktur wieder herstellen und gewährleisten, dass bei künftigen Krisen die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stehen, die Krise für mehr Resilienz und Stärke nutzen (Restore & Reputation Management) Krisen sind i m m e r auch ein Kampf um Ressourcen. Wer stark ist, wird seltener angegriffen. Nur wer stark ist, kann eine Krise überstehen und noch stärker aus ihr hervorgehen. Deswegen ist es für Unternehmen bereits heute wichtig, massiv und auf allen Ebenen aufzurüsten und die vorhandenen Ressourcen effektiv für die eigene Verteidigungsfähigkeit einzusetzen. Virulente Bedrohungslage erfordert Ressourcen Finanzielle Rücklagen, Expertenwissen und eine fundierte IT-Architektur sind hier ebenso wichtig wie gute Juristen, die einerseits wasserdichte Verträge entwickeln, aber auch wissen, dass Klagen und Prozesse Waffen sind, die gegen bestimmte Aggressoren eingesetzt werden können, als Drohung oder um Ressourcen beim Gegner zu binden. Gerichtsprozesse sind auch unterstützend im Rahmen der Unternehmenskommunikation und umgekehrt. Juristerei, IT, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die Resilienz von Marken, Produkten, Prozessen und Entscheidern, das alles muss zusammengedacht und zusammen entwickelt werden, wenn sich Unternehmen auf Krisen vorbereiten und diese überstehen möchten. Es braucht eine gut ausgerüstete Kompetenzarmee, die es mit professionellen Aggressoren aufnehmen kann. Denn eines darf vorausgesetzt werden: Die Gegenseite wird vorbereitet und im Zweifel skrupelloser sein als es sich die meisten Unternehmer vorstellen können. Die Bedrohungslage ist virulent, das gesellschaftliche und wirtschaftliche Klima tendenziell enthemmt. Der Schutz der eigenen Interessen, ja des eigenen Lebenswerkes und allem, was mit dem eigenen Unternehmen zusammenhängt, wird zum globalen Zukunftsthema. Die Vertrauenskultur geht ihrem Ende entgegen. • Falk S. Al-Omary ist Medien- und Politikberater und einer der renommiertesten Krisenmanager im deutschsprachigen Raum. www.al-omary.com Über den Autor © SYLKE GALL 2214
Laden...
Laden...
Laden...
Copyright © 2006-2017 OPS Netzwerk GmbH.
powered by SITEFORUM
Follow Us
Facebook
Google+