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PT-Magazin 3 2021

Offizielles Magazin der Oskar-Patzelt-Stiftung. Titelthema: Bange machen gilt nicht!

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08 Gesellschaft © WikiImages auf Pixabay – das weckte in den herrschenden Kriegszeiten schnell das Interesse der Militärs. Bereits 1939 verfasste der Neffe Lise Meitners, Otto Frisch, zusammen mit seinem britischen Kollegen Rudolf Peierls ein Memorandum, welches die technische Konstruktion einer auf Kernenergie beruhenden Bombe beschrieb. Dies ließ nun auch Nicht-Physiker aufhorchen. Adolf Hitler hatte kurz zuvor Polen überfallen und den Zweiten Weltkrieg begonnen. Als führende Nation in Forschung und Technik schien das nationalsozialistische Deutschland prädestiniert, als erstes Land die Kernenergie militärisch zu nutzen und Atombomben herzustellen. Eine Bombe mit solch gewaltiger Sprengkraft in den Händen Hitlers hätte für die Welt katastrophale Auswirkungen, so dachten nicht nur die beiden Juden Lise Meitner und Otto Frisch. Der ungarische Physiker Leó Szilárd hatte wie Meitner und Frisch stark unter dem nationalsozialistischen Deutschland gelitten, und auch ihm drängte sich das Schreckensbild eines atomar bewaffneten Hitlerdeutschlands auf. Er bewog den bis dahin strikten Pazifisten Albert Einstein dazu, einen Brief an den amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt zu schreiben und ihm darin die Anregung zu geben, den Bau einer amerikanischen Atombombe in Gang zu setzen. Dieser nahm den Anstoß auf. Unter höchster Geheimhaltung (nicht einmal der Vizepräsident wurde eingeweiht) stellte die amerikanische © Wikimedia.org Regierung ab 1941 ein Team von hochrangigen Wissenschaftlern und Ingenieuren zusammen. Das Ziel des «Manhattan Projekts», welches das bis dahin komplexeste und schwierigste Technikprojekt der Geschichte werden sollte, war der Bau einer Atombombe. Mit solchen Projekten hatte man bereits einige Erfahrung. So war der Zweite Weltkrieg bereits zu einem «Physiker-Krieg» geworden, in dem schon vor der Atombombe Technologien wie Radar, Raketenantrieb und Magnetminenabwehr entwickelt worden waren. Atomspaltung Plastik vor Otto-Hahn- Gymnasium in Monheim am Rhein Der erste Schritt des Manhattan Projekts war nachzuweisen, dass sich tatsächlich eine Kettenreaktion von Neutronenfreisetzungen auslösen und aufrechterhalten ließ. Dies gelang im Dezember 1942 Enrico Fermi, der aus dem mit Hitler verbündeten Italien ausgewandert war. Unterhalb eines Sportplatzes an der Universität in Chicago hatte Fermi den ersten Kernreaktor der Geschichte konstruiert. Damit war der Weg zur Bombe frei. Die Forschungsarbeiten wurden an einem Ort namens Los Alamos in der Wüste von Neu Mexiko zentriert. Der wissenschaftliche Leiter des Manhattan Projekts und daher später als «Vater der Atombombe» angesehen war Robert Oppenheimer, der seine wissenschaftliche Ausbildung unter Max Born in Deutschland erhalten hatte. Schon früh hatten sich zwei gangbare Wege abgezeichnet: ein erster mittels der Spaltung von Urankernen und ein zweiter mit Plutoniumkernen. Da sich die Physiker nicht sicher waren, welches der erfolgversprechendere Weg war, entschlossen sie sich dazu, beide Konzepte gleichzeitig zu verfolgen. Nach vier Jahren intensiver und strikt geheim gehaltener Arbeit gelang es ihnen, beide Bombentypen zu entwickeln. Im Juli 1945 hatten sie vier Atombomben fertiggestellt. Am 16. Juli 1945 explodierte auf einem Testgelände in der Wüste von Neu Mexico die erste Atombombe der Weltgeschichte. Ihre Wucht übertraf noch die optimistischsten Erwartungen der Physiker. Doch als sich der mächtige Atompilz am Horizont abzeichnete, überkam sie ein Gefühl tiefsten Unbehagens. Robert Oppenheimer zitierte, wie er später schreib, in diesem Moment innerlich aus der „Bhagavad Gita“, einer zentralen Schrift des Hinduismus: „Jetzt bin ich der Tod geworden, Zerstörer der Welten“. Einer seiner Kollegen, der Direktor des Tests, Kenneth Bainbridge, drückte es plastischer aus: „Jetzt sind wir alle Hurensöhne“. Das mulmige Gefühl der Physiker sollte sich als begründet erweisen. Schon drei Wochen später zeichnete sich der zweite Atompilz ab, dieses Mal über dem Himmel des Kriegsgegners Japan. Der dritte folgte nur drei Tage danach. In einer der kontroversesten und bis heute umstrittensten Entscheidungen der US-Geschichte hatte der bis kurz zuvor bezüglich auch nur der Möglichkeit der Existenz einer Atombombe völlig ahnungslose neue Präsident Harry Truman entschieden, die Bombe gegen Japan einzusetzen. Bei den beiden Abwürfen starben 200.000 Menschen unmittelbar. Im Verlaufe der kommenden Jahre folgten durch radioaktive Spätschäden PT-MAGAZIN 3 2021

09 PT-MAGAZIN 3 2021 noch viele mehr. Von der wissenschaftlichen Entdeckung der Spaltbarkeit des Uran-Atomkerns bis zu den Atompilzen von Hiroshima und Nagasaki waren noch nicht einmal sieben Jahre vergangen. Ursprünglich war die amerikanische Atombombe für Hitler-Deutschland gedacht gewesen, das jedoch bereits im Mai 1945 kapituliert hatte. Auch Deutschland hatte ein Atombombenprojekt betrieben. Doch der sogenannte Uranverein unter der Führung von Werner Heisenberg hatte weder die notwendigen Ressourcen besessen noch die notwendigen technischen Methoden entwickelt, um eine Bombe tatsächlich herstellen zu können. Bis heute gibt es unter Historikern Uneinigkeit darüber, warum die vor dem Krieg mit großem Abstand führende Wissenschaftsnation die Atombombe nicht entwickelte. Heisenberg selbst sagte, dass er eine solche Bombe nicht in die Hände Hitlers habe geben wollen. Ob dies wirklich seine Motivation war, ist bis heute umstritten. Andere Gründe waren sicher, dass die nationalsozialistische Militärführung die Bedeutung der Atombombe schlicht nicht erkannt hatte. Die Physiker mussten mit der Atombombe erkennen, dass ihr Wissensdrang nicht nur das herrschende Weltbild, sondern auch die Welt zertrümmern kann. Viele der Wissenschaftler, die am Projekt mitgewirkt hatten, verfolgte bis an ihr Lebensende die quälende Frage, ob sie nicht eine unmittelbare Verantwortung am Tod vieler Menschen tragen. Robert Oppenheimer plagte sein Gewissen derart, dass er später sogar vom amerikanischen Geheimdienst verfolgt wurde, der glaubte, seine Reue könne den USA im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion schaden. Mit Los Alamos, Hiroshima und Nagasaki hat die Tätigkeit der Physiker eine Dimension gewonnen, die sie bis heute nicht mehr losgeworden ist: die der gesellschaftlichen Verantwortung. ó Lars Jaeger Über den Autor hat Physik, Mathematik, Philosophie und Geschichte studiert und mehrere Jahre in der Quantenphysik sowie Chaostheorie geforscht. Er lebt in der Nähe von Zürich, wo er – als umtriebiger Querdenker – zwei eigene Unternehmen aufgebaut hat, die institutionelle Finanzanleger beraten, und zugleich regelmäßige Blogs zum Thema Wissenschaft und Zeitgeschehen unterhält. Überdies unterrichtet er unter anderem an der European Business School im Rheingau. Die Begeisterung für die Naturwissenschaften und die Philosophie hat ihn nie losgelassen. Sein Denken und Schreiben kreist immer wieder um die Einflüsse der Naturwissenschaften auf unser Denken und Leben. Im September 2019 erschien sein neuestes Buch „Mehr Zukunft wagen!“ beim Gütersloher Verlagshaus.

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