28 Wirtschaft Klimaschutz geht nur mit Gas – der Nutzen von Nord Stream 2 Die politisierte Nord Stream 2 (NS2) Debatte ist scheinheilig und ignorant. Klimaschutz fällt unter den Tisch. Der wird aber nicht durch ideologische Erneuerbaren Postulate, sondern durch CO2 Reduktion bewerkstelligt. Dafür braucht es Gas, und zwar bevorzugt aus emissionsarmen Lieferketten wie NS2. Irreführende Erfolgsmeldungen Der gern gefeierte Anstieg der Erneuerbaren im Strommix ist irreführend. Stromerzeugung macht nur ~23 % des Primärenergieverbrauchs aus. Der Wärmemarkt hingegen ~40 % und der Verkehrssektor ~ 21 %. Die dort überwiegend eingesetzten Ölprodukte liegen zwischen 1990 und 2019 unverändert bei 35 %. Gas stieg von 15% auf 25%, u.a. weil niedrige Gaspreise und steigende CO2-Emissionspreise Kohle in der Meritorder verdrängten. Erneuerbare machen ~14% der Primärenergie aus, davon Wind lediglich 3,1 und Sonne 1,3%. Auch die Darstellung der CO2-Reduktionen seit 1990 ist irreführend. Die CO2 Emissionen sanken Anfang der 90er kräftig. Das lag wesentlich am Strukturwandel in den östlichen Bundesländern. Seit Inkrafttreten des EEG 2000 ist der CO2-Ausstoß, außer im Stromsektor, nur geringfügig gesunken. Dekarbonisierung mit Gas in allen Segmenten vorantreiben Um die Dekarbonisierung voranzutreiben, braucht es den verstärkten Einsatz von Gas in allen Segmenten. Z.B. mit LNG im Schiffs- und Schwerlastverkehr. Der Wärmemarkt mit seinen veralteten Ölheizungen wird aus gutem Grund als ‚schlafender Riese‘ bezeichnet. Gegen NS2 wird u.a. eingewandt, weitere fossile Energie brauche man nicht. Es besteht aber eine klare Korrelation zwischen dem Grad der Dekarbonisierung und der Beschaffenheit der Gasmoleküle. Bis zu ~75% stiftet fossiles Gas erheblichen Klimanutzen, danach wird es ‚nichtfossil‘: u.a. als Wasserstoff. Gas stiftet 4-fachen Nutzen: Die Verstromung der 55 Milliarden m 3 /a Gas aus NS2 würde 160 Millionen to/a CO 2 gegenüber der Verstromung von Kohle einsparen. Zudem ist Gas ‚Freund und Helfer‘ der Erneuerbaren. Angesichts oszillierender Wind- und Sonneneinspeisung sorgt es für Netzstabilität. Im Falle einer ‚Kalten Dunkelflaute‘ fängt es den Totalausfall von Wind und Sonne auf. Und es deckt den Spitzenlastbedarf, der durch Elektromobilität und Wärmepumpen zusätzlich ansteigen wird . Die Energiedichte gasförmiger Moleküle ist erheblich größer als die von Elektronen. Bei Vollelektrifizierung steigen die Transport- und Verteilkosten von ~€ 21 Milliarden 2015 auf ~€ 41,5 Milliarden 2050. Die Diskussion über ‚Spitzenlastglättung‘ zur Vermeidung astronomisch steigender Netzkosten gibt einen Vorgeschmack. Bei Weiternutzung der Gasnetze steigen die Kosten lediglich von € 5,3 Milliarden 2015 auf € 5,5 Milliarden 2050. Wasserstoffgewinnung von Ideologie befreien Die Gasindustrie arbeitet ernsthaft an der Gewinnung von Wasserstoff aus Methan für den maßgeblichen Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft. In Deutschland steht Ideologie im Wege: es darf nur ‚grüner‘ Wasserstoff sein. Ein Onshore- Windrad erbringt lediglich ~1900 Volllaststunden. Nur bisher zu Negativpreisen ins Ausland verkaufter oder entschädigungspflichtig abgeregelter Überschussstrom würde in den Elektrolyseur eingespeist. Bei z.B. 400 Volllaststunden eine Auslastung von unwirtschaftlichen ~4,5 %. Auch die gesamten 1900 Volllaststunden ergäben nur eine Auslastung von ~22%. Der Import aus nordafrikanischen Ländern ist problematisch. Elektrolyse benötigt Frischwasser. Das ist dort knapp. Es entsteht Konkurrenz zwischen Trinkwasserversorgung und Stromerzeugung. Daher sollte man die Wasserstoff- Anstrengungen der Gasindustrie, egal welcher Farbe, begrüßen. NS2 ist ‚wasserstoff-fähig‘, könnte also auch in der Schlussphase der Dekarbonisierung großen Nutzen stiften. Politikgetriebene Scheinargumente Die behauptete Abhängigkeit von Russland ist Yesterday’s News. Inzwischen gibt es einen globalen Gasmarkt. In Europa ist ein liquider transnationaler Großhandelsmarkt entstanden, Preise bilden sich durch Angebot und Nachfrage. Sollte Russland den Gashahn zudrehen, geht der Handelspreis durch die Decke. Dieses Preissignal wird von LNG Exporteuren mit über ~500 Milliarden m 3 /a destinationsflexiblem LNG wahrgenommen. Wenn in Europa mehr Geld verdient werden kann als in Asien, kommt LNG nach Europa. Die Reaktionszeit beträgt ~3 Tage. Mit ~220 Milliarden m 3 /a Regasifizierungskapazität können wir diese Ersatzmengen absorbieren. Korrelation Dekarbonisierungsgrad fossiles/nicht-fossiles Gas Quelle: Hecking/Peters, ‘The underrated long-term relevance of gas in the decarbonizing German energy space’ Der als existenzbedrohend stilisierte Transit-Einnahmeverlust der Ukraine beträgt ~2 Milliarden USD. Bei einem Haushalt von ~150 Milliarden USD sind das
29 PT-MAGAZIN 3 2021 Klimaschutz fällt unter den Tisch. Gegenüber dem maroden ukrainischem System spart NS2 ~11 Millionen to/a CO2 ein. Auch bei der anstehenden EU CO2 Lieferketten Bepreisung wäre NS2 ‚best in class‘. Polen behauptet eine erhöhte Abhängigkeit von Russland. Die besteht aber gar nicht. Polen verfügt über 5 separate Lieferquellen. Die Summe der 4 nicht-russischen Quellen ist größer als der polnische Verbrauch. Dennoch gelingt es Polen, dreistellige Millionenbeträge von der EU zu ergattern. Zuletzt für die Baltic Pipe. Vor der dänischen Küste wird ein ‚Loch‘ in die norwegische Europipe II geschlagen und eine Teilmenge von 10 Milliarden m 3 /a zu hohen Kosten nach Polen umgeleitet. Gaswirtschaftlich eine Farce: mit einer Entry-/Exitbuchung Dornum/ Mallnow hätte man dasselbe für ein paar Eurocent erreicht. Polen und eine Vielzahl europäischer und amerikanischer Politiker behaupten, dass NS2 Europa spalte. Zu dem schon erwähnten nordwest-europäischen transnationalen Handelsmarkt gehört z.B. Tschechien, aber nicht Polen. Es hat seinen Markt nach Westen abgeschottet und dadurch ein deutlich höheres Preisniveau. Überschussimporte will Polen zu seinen überhöhten Preisen an die Baltischen Staaten liefern. Wenn die Marktabschottung aufgegeben würde, könnten sowohl Polen als auch die Baltischen Staaten Teil des nordwest-europäischen transnationalen Handelsmarktes werden. Polen sitzt dazwischen wie ein Korken in der Flasche. Es ist also Polen, das Europa spaltet. Einmischung in die Energieautonomie Europas abwehren Die U.S. Sanktionen sind eine unerträgliche Einmischung in die Energieautonomie Europas. Man hofft mit Herrn Blinken einen Kompromiss erzielen zu können. Ein Buch von ihm handelt von den Sanktionen der Reagan Administration Anfang der 80iger Jahre gegen den ersten deutsch-russischen Gasliefervertrag. Damals gab es eine ‚honest difference of opinion‘, wie man sich nach zwei Ölpreisschocks unabhängiger vom Öl macht. Die heutigen Sanktionen hingegen sind eine versteckte Marketingkampagne für U.S. LNG, begleitet von Drohbriefen. Die Amerikaner bezeichnen die durch NS2 fließenden Moleküle als ‚bösartig‘, U.S. LNG hingegen enthalte ‚Freiheitsmoleküle‘. Gleichzeitig importieren die U.S.A große Mengen russischen Rohöls. Da erscheint das Prädikat der Scheinheiligkeit durchaus angemessen. Zudem brauchen die U.S. LNG Exporteure überhaupt keine politische Hilfestellung. 2019 und 2020 wurden angesichts des Preisverfalls in Asien große Mengen U.S. LNG nach Europa geliefert. Dr. Wolfgang Peters © Axel Schmidt/Nord Stream 2 Rohrabschnitte über Wasser anschließen Zwei überlappende Rohrenden eines Rohrstrangs müssen angehoben und auf einem Rohrverlegungsschiff geschnitten werden, bevor sie zusammengeschweißt werden können. Diese Sachlage sollte der Bereitschaft der Bundesregierung zu sog. Kompromissen enge Grenzen setzen. Ein Baustopp würde die Falschen, nämlich die westlichen Investoren und Zulieferer treffen, während Russland zusätzlichen Ukraine Transit buchen und zum Schaden des Klimas ungehindert weiter liefern könnte. Der diskutierte sog. Abschaltmechanismus, in Wirklichkeit ein Miniembargo, ist ein rechtswidriges Wolkenkuckucksheim. Die Gasdirektive wurde auf Importpipelines ausgedehnt, trifft aber nur NS2 und ist damit eine diskriminierende ‚Lex NS2‘. Selbst Lex NS2 gäbe es nicht her, eine individuelle Importpipeline nach Belieben anund abzuschalten. ó Über den Autor Die politisierte Debatte um Nord Stream 2 (NS2) ist scheinheilig und ignorant. Klimaschutz kommt nicht vor. Der wird nicht durch ideologische Erneuerbaren Postulate, sondern durch CO2-Reduktion bewerkstelligt. Dafür braucht es Gas. Dr. Wolfgang Peters belegt dies in seinem Gastbeitrag. Er führt mit der Gas Value Chain Company (Friedrichskoog) sein eigenes Beratungsunternehmen und ist seit mehr als 30 Jahren in der Öl- und Gasindustrie tätig.
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