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PT-Magazin 1-2 2021

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Offizielles Magazin der Oskar-Patzelt-Stiftung. Titelthema: Ermutigung.

08 Gesellschaft © ITER

08 Gesellschaft © ITER Organization/EJF Riche Baufortschritt im November 2020 beim ITER, dem auf dem Tokamak-Prinzip beruhenden Versuchs-Kernfusionsreaktor mit dem Fernziel der Stromerzeugung aus Fusionsenergie. komplexen Molekülen oder Atomverbänden zu finden. Für herkömmliche Computer sind die entsprechenden Quantengleichungen zu schwierig. Quantencomputer könnten das Verhalten der beteiligten Elektronen dagegen direkt abbilden, da sie sich selber wie ein Quantensystem verhalten. Mit dem damit möglichen besseren Verständnis von Molekülen und den Details ihrer chemischen Reaktionen ließen sich beispielsweise neue Medikamente oder auch weit effizientere Batterietechnologien entwickeln. Auch hier gilt es für Europa, den Fortschritt der USA und zunehmend auch den von China aufzuholen. III. Kernfusion: Ohne größere öffentliche Aufmerksamkeit machen die Wissenschaftler unterdessen auf einem Gebiet Fortschritte, das die Probleme der globalen Energieversorgung ein für alle Mal lösen könnte: die friedliche Nutzung der Kernfusion. Dabei geht es um nichts weniger als den Traum, unbegrenzte, saubere und sichere Energie aus der thermonuklearen Fusion von Atomkernen einzulösen, dieselbe, die unsere Sonne und die Sterne antreibt. Neben dem mit massiven öffentlichen Geldern geförderten Mammutprojekt ITER im französischen Cadarache, das ab 2030 mit ersten Ergebnissen aufwarten soll, haben sich unterdessen auch einige privat finanzierte Unternehmen der Fusionsforschung verschrieben. Sie gehen dabei allerdings andere Wege als die ITER-Forscher. Mit alternativen und sehr viel kleineren Reaktortechnologien wollen sie bereits in den nächsten Jahren Strom aus Fusion gewinnen, und damit weit früher als ITER. Hier bahnt sich ein öffentlich-privater Wettlauf um die beste Lösung für die Fusionstechnologie an. Wären wir tatsächlich eines Tages in der Lage, Energie wie die Sonne zu produzieren und uns damit Zugang zur effizi- entesten, sichersten und umweltfreundlichsten Energieform, die die Natur bietet, zu verschaffen, so wäre dies sicher nicht nur ein weiterer großer technologischer Fortschritt, sondern vielmehr ein zivilisatorischer Sprung, der gleichzusetzen wäre mit der Erfindung der Dampfmaschine, die uns vor 250 Jahren die Energie gab, unsere Gesellschaft komplett umzukrempeln. Es lohnt sich also, die Zwischenergebnisse aus diesem Rennen auch im Jahr 2021 zu verfolgen. IV. Genetik in der Medizin: Die Erfolge bei der Entwicklung des Impfstoffes gegen das Corona-Virus beruht auf immensen Fortschritte in der Gentechnik der letzten Jahre. Solche «genetische Impfstoffe» enthalten die genetischen Informationen des Erregers, die nach Verabreichung von den eigenen Körperzellen in entsprechende Proteine übersetzt werden, woraufhin wie bei einer echten Virusinfektion eine Abwehrreaktion des Immunsystems ausgelöst wird. Gentechnische Verfahren werden aber nicht nur für Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten entwickelt, sondern auch im Kampf gegen Krebs. Auch hier zeigen sich ermutigende Ergebnisse. So wird längst an Zellimpfstoffen geforscht, bei denen die mRNA-Sequenz im Impfstoff so gestaltet ist, dass sie krebsspezifische Antigene kodiert. Es gibt bereits über 50 klinische Studien für mRNA-Impfstoffe für eine Reihe von Krebsarten, darunter Blutkrebs, Melanom, Glioblastom (Hirntumor) und Prostatakrebs. Es könnte also durchaus sein, dass die Covid-19-Pandemie der Startschuss für einen breiten Durchbruch in der Behandlung von Krebsund Infektionskrankheiten durch genetische Impfstoffe und patientenspezifische Medikamente sein wird. Doch der wichtigste bio-medizinische und gentechnologische Durchbruch dieses Jahrhunderts ist nach wie vor CRISPR. Dieses gerade einmal acht Jahre alte gentechnische Verfahren könnte Szenarien wie die endgültige Heilung von Krebs sehr viel schneller Realität werden lassen, als dies selbst die größten Optimisten unter den Gentechnologen noch vor 10 Jahren für möglich gehalten haben. Längst wird die Technologie in der Praxis angewendet, insbesondere bei der Veränderung des Erbgutes von Pflanzen. Aber auch in der Anwendung an Tieren und Menschen tritt CRISPR in eine neue Phase ein. Direkte Eingriffe in das menschliche Genom stellen technisch bereit heute kein Problem mehr dar. Für manche medizinische Anwendung hat sich die Technik bereits bis in die Phase klinischer Studien entwickelt. Dies wird die Behandlung zahlreicher, bisher als unheilbar geltenden Erbkrankheiten revolutionieren, die durch Gendefekte hervorgerufen werden, aber auch von Menschheitsplagen wie HIV, Malaria oder gar Diabetes, Krebs und anderen altersbedingten Krankheiten. Andererseits hat das enorme Potential von CRISPR auch neue ethische Debatten ausgelöst (und alte verschärft) und wird auch 2021 für viele Kontroversen sorgen. V. Internet der Dinge: Wir haben uns bereits an zahlreiche digitale Alltagshelfer gewöhnt, von der App, die uns in Echtzeit über Zugverspätungen informiert, über die elektronische Vermessung der gelaufenen Schritte, bis hin zu Tinder, das paarungsbereite Zeitgenossen in der unmittelbaren Umgebung anzeigt. Auch den Kühlschrank, der selbsttätig Lebensmittel nachbestellt, kennt man schon. Doch wie wäre es mit … einem Regenschirm, der bei aufkommendem Regen blinkt, und so die Aufmerksamkeit desjenigen auf sich zieht, der aus dem Haus gehen will. … einem Portemonnaie, das sich immer schwerer öffnen lässt, je geringer das Guthaben auf der Kreditkarte ist. PT-MAGAZIN 1-2 2021

09 PT-MAGAZIN 1-2 2021 Auch diese Helfer sind heute technologisch kein Problem mehr. Mit steigender Rechenkapazität, schnellerer Vernetzung durch ein ultraschnelles mobiles Internet und immer intelligenterer Datenverarbeitung wird sich die Entwicklung solcher „intelligenten Dinge“ rasant fortsetzen. Schon 2019 wurde 5G aufgeschaltet, das atemberaubende Geschwindigkeiten von bis zu 10 Gigabit pro Sekunde ermöglicht. Auch 2021 wird dieses Netz global weiter ausgebaut. Um das Gewünschte zu erreichen, müssen wir längst nicht mehr einen Computer benutzen, die Dinge des Alltags regeln das ohne unser direktes Zutun untereinander. Tatsache ist: Unsere Welt verändert sich immer schneller. In seinem Roman Schöne Neue Welt von 1932 beschreibt Aldous Huxley eine Gesellschaft, in der die Menschen mittels biotechnologischer Manipulationen schon mit ihrer Geburt in verschiedene Kasten sortiert, und zugleich durch permanenten Konsum, Sex und die Glücksdroge Soma in all ihren Wünschen, Begierden und Gelüsten sofort befriedigt werden. Der Roman wird den meisten Lesern in seinen Grundzügen bekannt sein. Weniger bekannt ist das Jahr, in welchem Huxley seine Handlung spielen lässt. Es ist das Jahr 2540 n. Chr., also mehr als 600 Jahre nach Erscheinen des Romans! Dass die realen technologischen Möglichkeiten schon nach einem Jahrhundert dieses Szenario nicht nur erreichen, sondern weit in den Schatten stellen könnten, hatte sich selbst der Visionär Huxley nicht vorstellen können. Die technologischen Entwicklungen werden sich auch 2021 weiter beschleunigen. ó Lars Jaeger Über den Autor hat Physik, Mathematik, Philosophie und Geschichte studiert und mehrere Jahre in der Quantenphysik sowie Chaostheorie geforscht. Er lebt in der Nähe von Zürich, wo er – als umtriebiger Querdenker – zwei eigene Unternehmen aufgebaut hat, die institutionelle Finanzanleger beraten, und zugleich regelmäßige Blogs zum Thema Wissenschaft und Zeitgeschehen unterhält. Überdies unterrichtet er unter anderem an der European Business School im Rheingau. Die Begeisterung für die Naturwissenschaften und die Philosophie hat ihn nie losgelassen. Sein Denken und Schreiben kreist immer wieder um die Einflüsse der Naturwissenschaften auf unser Denken und Leben. Sein neuestes Buch „Sternstunden der Wissenschaft“ ist im Suedverlag erschienen.

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