Shakespeare reloaded Gesellschaft PT-MAGAZIN 6/2016 6 © Wikimedia, Alberto Cabello CC BY 2.0 Vor 20 Jahren wurde Bob Dylan erstmals für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen. Bekam er ihn 2016 zu Recht? … und ich sag dir, in boston gibt’s einen buchmacher / bei dem kann man wetten, wer präsident / wird / ich wird vorerst keine wette riskieren, sag ich / kleine kinder auf der gasse / würfeln um geld / zwischen den mülltonnen / du sagst „nichts ist vollkommen“ / und ich sag dir nochmal / es gibt keine /politik (aus: you tell me about politics, Bob Dylan, Lyrics) Bob Dylan - Azkena Rock Festival 2010 Der Literaturkritiker Denis Scheck kann die Entscheidung der Nobelpreis-Jury nicht nachvollziehen. Ausgerechnet Bob Dylan soll den Literatur-Nobelpreis erhalten? Im Interview mit dem SWR lachte Denis Scheck Tränen: „Er ist wirklich kein passender Kandidat für den Literaturnobelpreis. Ich glaube, sie wollten ihn eigentlich Donald Duck geben und hatten die Telefonnummer nicht.“ Das sieht Al Kooper völlig anders. Er arbeitete schon in den 60ern mit Dylan und Jimi Hendrix und Mick Jagger und erfand damals mit Blood, Sweat & Tears den Jazzrock. Kooper meint: „Bob ist unser Äquivalent zu William Shakespeare – was Shakespeare für seine Epoche erschuf, erschafft Bob für die seine.“ Nicht nur Dylans Songs, auch seine Bücher haben sich jedenfalls weltweit millionenfach verkauft. In Deutschland dank der großartigen Arbeit des Verlages Zweitausendeins. In der amerikanischen Literatur- und Kulturwissenschaft gilt Bob Dylan daher als Ausnahmekünstler, der wie kaum ein anderer einen reichen Fundus unterschiedlicher literarischer Stile, Gattungen und Vorlagen geöffnet und für originelle Schöpfungen nutzbar gemacht hat. „Ob er das Genre der Volksballade wiederbelebt, sich bei den französischen Symbolisten bedient oder die Tradition der Beat Generation fortführt, immer erschafft Dylan etwas sehr Eigenes, das sich oft nur schwer gängigen Kategorien zuordnen lässt“, erklärt der Kulturwissenschaftler Pascal Fischer aus Bamberg. Und für die Amerikanistin Christine Gerhardt verkörpert Dylan eine Dimension der amerikanischen Kultur und Politik, die gerade wieder am Erstarken ist und sich zum Beispiel in der internationalen Aktivisten-Bewegung „Black Lives Matter“ und der Begeisterung vieler junger Menschen für den Politiker Bernie Sanders ausdrückt: „Die Auszeichnung lenkt den Blick auf dieses ‚andere‘ Amerika, auf die ‚counter culture‘ (dt.: Gegenkultur), für die Dylan seit den sechziger Jahren steht.“ Auch der vor knapp 900 Jahren wirkende Meistersinger Walther von der Vogelweide wird nicht als Musiker, sondern als bedeutendster Lyriker des Mittelalters verehrt. Erst im 14. Jahrhundert begann sich die Lyrik von der Musik zu lösen. Ein berühmter Vertreter dieser Zeit ist François Villon. Er wurde „wegen des schlimmen Lebenswandels“ mehrfach inhaftiert und mit 32 Jahren zum Tode verurteilt. Lebte Villon heute, wäre er sicher Gangsta-Rapper. Apropos Rap. Mit Goethe und Schiller gelingt es einem Deutschlehrer nur selten, dass Jugendliche mit glänzenden Augen und voller Leidenschaft Texte rezitieren. Aber mit Lyrik von Sido oder Kontra K geht das durchaus. Kultur ent-
© Rehgina a.k.a. Regina Weinkauf, Wikimedia wickelt sich weiter. Lyrik entwickelt sich weiter. Nicht alles, was heute Underground ist, wird morgen Hochkultur. Aber alles, was heute Hochkultur ist, war gestern Underground. Ähnlich begründete Walt Whitman vor 200 Jahren die moderne amerikanische Dichtung mit seinem Jahrhundertepos „Grashalme“. Oder nehmen wir die liedhaften, unromantischen Gedichte des großen österreichischen Lyrikers Theodor Kramer, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit geriet und vom Liederdichter Hans-Eckardt Wenzel für Deutschland wiederentdeckt wurde. Mit einem Literatur-Nobelpreisträger Bob Dylan rückt eine Lyrik wieder in den Mittelpunkt, die im besten Sinne breite Volksschichten anspricht. Was Vertreter der Hochkultur für Kunst halten, fällt bei diesem Kriterium leider häufig durch. Natürlich kann man darüber verschiedener Meinung sein. Das ist übrigens nicht nur beim Literatur-Nobelpreis so. Das ist sogar beim Friedensnobelpreis so. So sickerte nach der Verleihung des Friedensnobelpreises an Barack Obama durch, dass Vorsitzender und Stellvertreter des norwegischen Nobelkomitees die übrigen Mitglieder nur mit ganz viel Mühe zur Wahl des US-Präsidenten überzeugen konnten. Dem sozialen Frieden haben Obamas Aktivitäten in den 90er Jahren trotz bester Absichten letztlich eher geschadet. Das kam so: Graffito von Klaus Paier Immer wieder verwehrten US-Banken armen Menschen Kredite, weil diese weder Einkommen noch Sicherheiten hatten. Deutlich mehr Schwarze als Weiße waren betroffen: Scheinbar ein Verstoß gegen die seit den 60er Jahren geltenden Antidiskriminierungsgesetze. Mit dem 1977 von Jimmy Carter erlassenen Community Reinvestment Act (CRA) konnten Banken für das „Fehlverhalten“ sanktioniert werden, Kredite nur bei nachgewiesener Zahlungsfähigkeit zu vergeben. Wie so oft in der Geschichte stand das moralische „Richtig“ im Widerspruch zum wirtschaftlich Richtigen. Bill Clinton goss 1994 Öl ins Feuer dieser Fehlentwicklung, als er begann, das Trennbankensystem abzuschaffen. Immer mehr Banken wurden verklagt. Auch der Ärmste sollte sein Häuschen bauen dürfen und nicht von Krediten ausgeschlossen bleiben. Am „erfolgreichsten“ war dabei eine Gruppe aus Chicago um Barack Obama. Sie zwang Dutzende Banken mit Gerichtsprozessen zur Kreditvergabe, in voller Kenntnis, dass die Kreditnehmer ihre Schulden nie aus eigener Kraft zurückzahlen würden. Zunehmender öffentlicher Druck setzte alle klassischen Regeln einer sicheren und angemessenen Kreditvergabepraxis Schritt für Schritt außer Kraft. Eine Immobilien-Preisspirale entstand. Scheinwerte blähten Blasen auf. Am scheinbar boomenden Markt wollten alle verdienen. Künstliche „Finanzinstrumente“ hielten ein Schneeballsystem am Leben, dass Warren Buffet schon 2003 als „finanzielle Massenvernichtungswaffe“ kritisierte. Er behielt Recht: Die Subprimekrise kam so sicher wie der Winter nach dem Sommer, gefolgt von der Weltwirtschaftskrise 2007. Vier Billionen US-Dollar wurden verbrannt. Politiker wollten die Ärmsten gegen ökonomischen Sachverstand beglücken und stürzten stattdessen Millionen Menschen ins Unglück, die die riesigen Kreditsummen beim Zusammenbruch des Marktes nicht mehr bedienen konnten. Solch profane Alltagsdinge spielten bei der Vergabe des Friedensnobelpreises 2009 keine Rolle. Diese Auszeichnung an Barack Obama wurde vor allem mit seiner „Arbeit für eine Welt ohne Atomwaffen“ begründet. Auch das war vielleicht etwas voreilig: Deutsche Atomkraftwerke werden zwar nach und nach abgeschaltet, aber amerikanische Atombomben bleiben nach wie vor hier. Und das kam so: 1990 verzichtete das wiedervereinigte Deutschland im 2+4-Vertrag auf Herstellung, Besitz und Verfügungsgewalt von atomaren, biologischen und chemischen Waffen. Ein Jahr später waren alle russischen Kernwaffen aus dem Gebiet der ehemaligen DDR abgezogen. Doch im Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz blieben 20 US- Atombomben des Typs B61-3 und B61-4 liegen. Bis heute. Zwar verlangte der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier 2009 und sein Nachfolger Guido Westerwelle 2010 den sofortigen Abzug aller US-amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland. Doch nichts passierte. Schlimmer noch. Fünf Jahre nach der Ankündigung einer Welt ohne Atomwaffen beginnt Obama mit der „Modernisierung“ der in Büchel liegenden Atomwaffen. Künftig liegen hier 20 B61-12. Jede mit der 13fachen Stärke der Hiroshima- Bombe. Deutschland zahlt 120 Millionen Euro zur Erneuerung des atomaren Waffenlagers in Büchel. Und deutsche Tornado-Piloten werden im Ernstfall die Angriffe mit den US-Atombomben fliegen. Aber das ist nur Politik. Über die sagte Bob Dylan 1965: „Politik habe ich immer als Teil des großen Theaters empfunden. Ich beschäftige mich nicht damit“. ó Gesellschaft PT-MAGAZIN 6/2016 7
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