Wir alle sind Spekulanten! Ein Plädoyer dafür, nachzudenken, bevor man vorschnell in den Chor gegen eine scheinbar verrufene Zunft einstimmt. Gesellschaft AIDA Cruises investiert 10 Millionen Euro und schickt die AIDAcara nach Südamerika -. Ist das schon Spekulation? Und spekulieren nicht auch die Reisenden, dass ihnen das Schicksal der Costa Concordia erspart bleibt? „Spekulant!“ – Wer möchte schon so angesprochen werden, würde man doch offensichtlich in den Augen der meisten Zeitgenossen bezichtigt, am Rande der Legalität Unappetitliches zu tun, etwas, das auf jeden Fall gegen Anstand und Sitte verstößt, und Worte wie Aasgeier oder Heuschrecke sind dann auch schnell bei der Hand. Wer sich indessen die Mühe macht, mal zu fragen, was ist eigentlich Spekulation, wird schnell erkennen, es handelt sich um den allen Menschen eigenen Drang, einen Blick in die Zukunft zu erhaschen. Und das ist nachgerade überlebensnotwendig. Fast alle Entscheidungen, die wir Menschen treffen, wirken in naher oder ferner Zukunft, und sie sind immer abgeleitet aus Vorstellungen, die wir uns von der Zukunft machen. Deshalb sind Prognosen, also Aussagen über Ereignisse in der Zukunft, so heiß begehrt. Ja, selbst dann, wenn wir selbstkritisch erkennen müssen, dass die meisten Prognosen daneben liegen. Erstens kommt es anders … Der Galgenhumor des Volksmundes bringt es auf den Punkt: Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt! Spekulanten sind Menschen, die glauben, nützliches Wissen über Zukunft zu besitzen. Darauf spezialisieren sich auch einige, früher nannten sie sich Priester, Schamanen, Traumdeuter und Astrologen, letzteres gibt es auch heute noch neben Prognostikern, Futurologen und eben Spekulanten auf Terminmärkten. Allen ist gemeinsam: Sie produzieren Zukunftswissen, das wir Gegenwartsmenschen nur allzu gerne wie trockene Schwämme aufsaugen, weil wir es für unsere täglichen Entscheidungen brauchen. Welche Entscheidungen sind das? Beispiele sind: Wird mich meine Lehre, mein Studium auch in zwanzig Jahren noch ernähren? Wie sicher ist der Arbeitsplatz, um den ich mich bewerbe? Welche Alternative am Ort ist zu erwarten, wenn ich entlassen werden würde? Mit welchen Zinsen muss ich in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren rechnen, wenn ich eine Hypothek für ein Eigenheim aufnehme und kann ich diese zukünftigen Zinsen aus meinen, dann erwarteten, Einkommen bestreiten? Wenn nein, zu welchem Preis könnte ich notfalls das Haus verkaufen und wie lange brauche ich, um einen Käufer zu finden? Welchen Preis kann ich für Produkte einer Maschine erwarten, die zehn Jahre halten soll? Welche Unterhaltszahlungen drohen, wenn der von Herzen begehrte Partner vielleicht doch den Ehevertrag kündigt? Die Zukunft wird schneller Fragen über Fragen, die immer nur entschieden werden können auf der Grundlage höchst unsicherer Vorstellungen über Zukunft: Wir sind allesamt Spekulanten! Denn das ist das Wesen aller Spekulation: Zukunftswissen bilden und daraus nützliche Gegenwartsentscheidungen ableiten. Dies tun wir als privater Haushalt ebenso wie als mittelständischer Unternehmer oder Verwalter eines Vermögens. Spekulation ist unser Menschenschicksal. Zugegeben, Menschen handeln auch instinktgesteuert, aber nicht nur. Man beobachtet, man liest, man hört zu und man sucht und sammelt Zukunftswissen. Und zwar nicht nur an sich, aus Spaß an der Freude, sondern weil der Mensch seine Zukunft planvoll gestalten möchte. (Foto: obs/AIDA Cruises/Florian Kopp) Und dies schon immer und gegenwärtig immer mehr, weil, so der Philosoph Herrmann Lübbe, „die Zukunft immer schneller auf uns zukommt“. Anders formuliert: Weil unser Vergangenheitsund Gegenwartswissen technisch-wissenschaftlich getrieben, immer schneller veraltet. Im 19. Jahrhundert war es nicht ungewöhnlich, dass eine Drehmaschine oder ein Schmiedehammer zwei, drei Generationen diente, heute muss man sich ängstigen, wenn eine Maschine nicht in fünf bis acht Jahren amortisiert ist. Spekulation ist moralisch geboten! Die wohl früheste, dokumentierte Spekulation findet sich in der Bibel und ereignete sich vor ca. 3000 Jahren. Der ägyptische Pharao hatte einen verwirrenden Traum. Er sah sieben fette Kühe aus dem Wasser steigen und danach sieben magere, hässliche Kühe, wie er sie noch nie gesehen hatte. Und die sieben hässlichen Kühe fraßen die sieben fetten Kühe. Der Pharao war höchst beunruhigt und fragte seine Priester, was dieser Traum bedeuten mag. Doch keiner der Priester wusste eine Antwort zu geben. Allein einer meinte von einem Juden namens Joseph gehört zu haben, von dem gesagt werde, er sein der Traumdeutung mächtig. Er wurde gerufen und Joseph trat vor den Pharao und sprach: Die sieben fetten Kühe stehen für siebe reiche Ernten, und die sieben mageren und hässlichen Kühe für sieben Jahre schlechter Ernten und bitterer Armut und Hunger, wie sie es noch nie gegeben hat in Ägyptenland. Der Pharao solle sofort überall im Lande Getreide kaufen und die Speicher füllen, auf dass Nahrung für die sieben mageren Jahre da sei. Der Pharao wies an, Joseph solle von nun über allen in Ägyptenland stehen und die Speicher füllen. So geschah es, und als die sieben mageren Jahre kamen, ward das Elend größer je länger, und alle kamen zu Joseph, zu kaufen Getreide. Soweit die biblische Geschichte. Es ist nicht überliefert, dass die notwendig gestiegenen Getreidepreise durch Lageraufstockung Murren und Demonstrationen des Volkes auslösten, auch nicht, dass der Gott der Juden Joseph für die Verknappung des Getreides in den Jahren der Fülle gestraft hätte. Wir wissen nur, dass Joseph mit seinen zwölf Söhnen zum Stammvater der zwölf Stämme Israels wurde. Spare in der Zeit Die aktuelle Diskussion über Getreidepreise liest sich ganz anders als die biblische Geschichte. Spekulanten trieben die Getreidepreise hoch, die Ärmsten der Armen verhungerten. Die Spekulanten müssten in ihre Schranken verwiesen werden. Gleichzeitig liest man aber auch: Die Weltbevölkerung steige unaufhörlich weiter, fruchtbare Böden versteppten, die Hektarerträge würden immer weniger wachsen, in den Industrieländern versiegele man Äcker mit Beton und Asphalt, Energiepflanzen und Solarparks verdrängten Nahrungsmittel und schließlich würden die Menschen in den aufstrebenden Ländern wie China und Indien immer mehr Fleisch statt Reis essen, was ein Siebenfaches und mehr an pflanzlicher Produktion verursache, von den Horrorszenarien der Klimapolitiker und Klimawissenschaftler ganz zu schweigen. Kurzum, die Nachfrage nach fruchtbaren Böden wächst, das Angebot sinkt, mithin steigen Boden- und Getreidepreise. Was ist, wenn dieses Wissen um Zukunft Wirklichkeit werden sollte, heute sinnvollerweise zu tun? „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not!“, weiß der Volksmund in Erinnerung an Joseph zu antworten – und hat recht. Wir brauchen auch jetzt Joseph, der aus tatsächlichem oder vermeintlichem Zukunftswissen die richtigen Maßnahmen ableitet: Aufkauf von Ackerland – was China in großem Stil in Afrika unternimmt – Lageraufstockung, Erforschung und Entwicklung resistenter Getreidesorten. Contra Knappheitserwartung All das geschieht, wenn Preise heute (Kassamarkt) und Preise morgen (Terminmarkt) steigen. Diese Preissteigerungen sind die notwendigen Signale für Politiker, Bauern, Forscher und Investoren je für sich heute so zu planen, zu forschen und zu investieren, dass der erwarteten Knappheit morgen entgegen gewirkt wird. Wenn also in maximaler Betroffenheitsgestik gerufen wird „Haltet die Spekulanten!“ und wenn Politiker, um Wählerempörung vorzubeugen, eilfertig solcher Einfalt rhetorisch oder gesetzgebend folgen, dann werden die fetten Kühe sofort geschlachtet und übrig bleiben später die mageren und hässlichen Kühe. Deshalb sagt der Wirtschaftsethiker Ingo Pies zu Recht, Spekulation ist moralisch geboten. Böse Finanzspekulation? Nun gibt es auch Kritiker der Spekulation, die bis hierhin durchaus mitgehen und Spekulation auf Warenterminmärkten als notwendig und geboten erachten, aber die Spekulation in Finanzmärkten verdammen. Diese sei zu verbieten oder wenigstens zu besteuern. Spe 6 P.T. MAGAZIN 6/2013 6/2013 P.T. MAGAZIN 7
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