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P.T. MAGAZIN 06/2012

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Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung

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(Foto: brandbook.de/flickr.com) Gesellschaft Johannes Gutenberg etwa war zu faul, um Bücher abzuschreiben in Deutschland müssen kluges Nichtstun und Nichteinmischung erst gelernt werden. „Den Abgeordneten gilt der Gesetzausstoß als Leistungsbeweis“, sagt der emeritierte Juraprofessor Ulrich Karpen über den Deutschen Bundestag. Und weil niemand als faul gelten will, sind die Ergebnisse verheerend: „In der Zeit von 1948 bis 1998 sind 5.500 deutsche Gesetze sowie 18.000 Verordnungen entstanden, alles in allem etwa 85.000 Paragraphen.“ Im Steuerrecht kommen jedes Jahr 40 neue Erlasse, 200 Bundesfinanzhofurteile, 1.000 Durchführungsverordnungen und 3.000 Finanzgerichtsurteile hinzu. Alle Versuche, dieser Hydra die Köpfe abzuschlagen, waren bislang vergebens. Wer lässt was am besten sein? Die Bewältigung der staatlichen Bürokratie kostet die Unternehmen immense Summen. Einer schiebt in Deutschland die Schubkarre und einer kontrolliert ihn dabei. Doch damit nicht genug: Nummer eins bezahlt Nummer zwei dafür, dass sie ihm im Weg steht. Im Wege stehen kann jeder, Nichtstun will gelernt sein. Teilen wir die Menschen einmal ganz grob in Fleißige und Faule, Intelligente und Dumme ein. Wer macht was am besten? Und wer lässt was am besten sein? Für die Produktion von Wohlstand (also für die Schubkarre) würde eine Gesellschaft selbstverständlich am liebsten nur auf intelligente und fleißige Menschen zurückgreifen. Doch die sind nun einmal eine Minderheit. Das macht aber nichts: Die intelligenten und faulen Zeitgenossen haben zwar einen schlechten Ruf, sind aber von nicht minder großem Nutzen. Der Hauptvorteil dieser Schlawiner liegt darin, dass sie ständig darüber nachdenken, wie sich Arbeit vermeiden lässt. Johannes Gutenberg etwa war zu faul, um Bücher abzuschreiben, Karl Benz war zu faul, zu Fuß zu gehen. Der Abakus, der Taschenrechner und der Computer wurden erfunden, weil intelligente Menschen zu faul zum Kopfrechnen waren. Nichtstun schafft Arbeitsplätze Intelligente, aber faule Menschen sind auch für Regierungen und Verwaltungen ein echter Segen, weil sie all die anderen, die ihre Arbeiten machen wollen, in Ruhe lassen. Als Fallbeispiel hierfür mag 8 P.T. MAGAZIN 6/2012

der schlecht beleumundete frühere EU- Kommissar Martin Bangemann fungieren. Dem guten Leben aufgeschlossen, förderte er in jeder Hinsicht die kreative Freizeitgestaltung seiner Mitarbeiter und seiner selbst. Seine üppige Barockfigur wurde abwechselnd in Brüsseler Fresstempeln, auf seiner spanischen Finca oder seinem Segelschiff gesichtet, so gut wie nie aber hinter seinem Schreibtisch. Seinem eigentlichen Aufgabengebiet, der Deregulierung der europäischen Telekommunikationslandschaft, tat Bangemanns Freizeitverhalten ausgesprochen gut. Er kontrollierte nichts und niemanden (wann denn auch?). Der Deregulierung des Telefongeschäftes in Europa stand der Dreizentner-Mann jedenfalls nicht im Wege. Das segensreiche Nichtwirken des schillernden und vorzeitig beurlaubten Faulpelzes kann heute jeder Bundesbürger auf seiner Telefonrechnung ablesen. Hinzu kommt: In gleichem Maße, wie die Gebührenrechnung sank, stieg die Zahl der Beschäftigten in der Telekommunikationsbranche. Auch wenn die Einsicht wehtut: Nichtstun schafft Arbeitsplätze. Martin Bangemann gab seiner Segelyacht übrigens einen hintergründigen Namen: »Mephisto«. Zu Faul für Krieg Nun gibt es nicht nur clevere, sondern auch eine Menge dummer Zeitgenossen, die in eine Gesellschaft eingebunden werden wollen. Sind sie dumm und zugleich faul, handelt es sich meist um nette und wenig gestresste Menschen, die vielfältig verwendbar sind. Beispielsweise als Präsidentendarsteller. Denken wir nur an Ronald Reagan. Ob er wirklich beschränkt war oder manchmal nur so tat, kann man bei einem Schauspieler natürlich nie wissen. Biographen aus seinem Umfeld beschreiben ihn jedenfalls als „uninteressiert“ und ziemlich faul. Reagan, so wird kolportiert, war der erste Präsident der USA mit Dienstzeiten von 9 bis 17 Uhr (am Wochenende geschlossen). Doch die Amerikaner blicken auf seine Amtszeit mit Wohlwollen zurück. So prosperierte die Wirtschaft, und Reagan vermied - von einigen Scharmützeln abgesehen - jeglichen Krieg (wahrscheinlich, weil dann nach Feierabend so oft das Telefon klingelt). Den Fleiß entsorgen Ein wirklich bedrohliches Kaliber sind hingegen dumme Menschen, die obendrein zum Fleiß neigen. Kombiniert können sich diese beiden Eigenschaften zum Fleisch gewordenen GAU auswachsen. „Sie ruinieren alles, jede Firma, jede Organisation, jede Beziehung“, sagt der Unternehmensberater Otto Buchegger, „und sie sind kaum zu bremsen in ihrem Drang, alles zu vernichten.“ Die Anzahl der Dummen dürfte in Deutschland nicht größer sein als anderswo. Die Anzahl der Fleißigen wahrscheinlich auch nicht. Problematisch scheint uns aber die Tatsache, dass sich offensichtlich eine große Zahl fleißiger Menschen in Regierungsämtern, Behörden und Verwaltungen massiert, wo sie fleißig dumme Dinge tun. Wer käme sonst auf die Idee, die Bürger eines Landes mit 5.500 Gesetzen „Das Mephisto-Prinzip" ist als eBook auf Amazon erhältlich und 85.000 Paragraphen zu malträtieren? Vorschlag zur Weiterbildung: Da sich Dummheit nicht beseitigen lässt, sollte wenigstens der Fleiß entsorgt werden. Fleiß ohne Sinn und Verstand treibt ja die seltsamsten Blüten. Der Staat scheut keine Kosten, um unwirtschaftliche Unternehmen zu fördern, die irgendetwas tun, was die jeweilige Regierung gut findet. ■ Der Beitrag entstammt dem 14. Kapitel des 2001 erschienen Buches. Über die Autoren ■ Henryk Marcin Broder ist Journalist und Buchautor. Er schrieb bis 2010 für das Magazin Der Spiegel und für die Berliner Tageszeitung Der Tagesspiegel. Seit 2011 ist er für Die Welt, die Welt am Sonntag und Welt Online tätig. (Foto: Wikimedia/CC-3.0/Sven Teschke) ■ Michael Miersch verfasst gemeinsam mit Dirk Maxeiner eine wöchentliche Kolumne für Die Welt. Zusammen schrieben sie mehrere Sachbücher zu politischen und ökologischen Themen. (Foto: Wikimedia/CC-2.0/Dirk Maxeiner) ■ Dirk Maxeiner war Redakteur beim Magazin Stern. Seit 1993 arbeitet er als freier Publizist. ■ Alle drei Autoren sind Mitglieder des Online-Tagebuchs www.achgut.com (Foto: Tim Maxeiner) 6/2012 P.T. MAGAZIN 9

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