Wirtschaft Teamarbeit lässt sich nur mit mündigen Erwachsenen organisieren, nicht mit schutzbefohlenen Kindern Führungskräfte müssen nicht „Pampern“ Burnout markiert den Gipfel der Psychologisierung der Arbeitswelt. Doch „Pampern“ von Mitarbeitern ist weder unerlässlich noch alternativlos. (Foto: Carsten Kruse/CC) ob man Prozesse etc. am Arbeitsplatz so ändern kann, dass ein Mitarbeiter weniger Druck verspürt?“ Erfundene Situationen? Mitnichten! In meinen über 20 Jahren Beratungspraxis versammeln sich weit dramatischere Fälle. Die beiden Exempel zeigen mehrerlei. Für Mitarbeitende ist es zur Selbstverständlichkeit geworden, Führende (bzw. das Unternehmen) für das eigene Wohlbefinden und die berühmte Work-Life-Balance einzuspannen. Für Legitimität sorgen Experten, insbesondere Psychologen, Psychosomatiker, Mediziner sowie Personaler und Berater aus der Weiterbildungsszene. Dass Führende genötigt werden, auf sach- und fachfremdem Gebiet (schein-) professionell zu agieren, ist eine Zumutung und praktisch nicht leistbar. Dennoch haben zahlreiche Führende die Zumutung angenommen – und geraten regelmäßig in Dilemmata, aus denen sie kaum herauskommen, ohne an einem schlechten Gewissen oder an Versagen zu leiden oder aber mit Vorwürfen von Mitarbeitenden und Personalern, unfähig zu sein, zugedeckt zu werden. Burnout ist chic. Die Ausgebranntsein- Welle hat etwas an die Oberfläche gespült, das seit einigen Jahrzehnten vom Meeresgrund nach oben treibt: Führungskräfte werden dazu verpflichtet, psychologisch und ganzheitlich zu führen. Sie erhalten den Status von Eltern und die Macht von Psychologen und Psychotherapeuten. Der pädagogische Aspekt zielt auf erzieherische Pflichten; der psychologische Aspekt auf eine Fürsorgepflicht, die Innerseelisches, Persönlichkeitsbildung und die gesamte Lebensführung der Gesamtpersönlichkeit umgreift. Zwei Beispiele: „Seit einigen Monaten läuft Mitarbeiterin X mit einem mürrischen Gesicht herum. Bereits zwei Mal habe ich sie gefragt, ob sie mit irgendetwas unzufrieden sei, ob ich oder ein anderer sie verletzt hätten und was ich tun könne, um ihr wieder mehr Freude an der Arbeit zu ermöglichen. Beide Male: keine Antwort. Nur ein mucksches Gesicht und Schweigen. – Ja, was soll ich denn noch machen?“ Problemfall Handauflege-Kurs „Als es um die Frage nach Schulungen ging, wollte ein Mitarbeiter unbedingt einen Handauflege-Kurs buchen. Begründung: Freunde von ihm hätten den Kurs empfohlen, weil das Handauflegen beruhigende und heilende Wirkung entfalte und somit eine effektive Vorbeugung für Burnout sei. Ich fragte, inwiefern er sich als Burnout-gefährdet einstufe und was wir in der Arbeitsorganisation ändern könnten, um ihn zu entlasten. – Du meine Güte! Da hatte ich etwas gesagt! Ich musste mir dann anhören, meiner Fürsorgepflicht nicht nachzukommen, ihn auszubeuten, mich nicht für sein Wohlbefinden zu interessieren, obwohl er doch besser arbeite, wenn es ihm gut gehe und so weiter. – Sagen Sie, was ist eigentlich ‚ausbeuterisch‘ daran, gemeinsam zu prüfen, Überforderte Chefs Das Pendel zwischen Selbst- und Fremdfürsorge ist bei letzterer stehen geblieben. Den Preis zahlen Führende. Als Nieten, Idioten, Narzissten, Alpha- Tiere beschimpft, werden sie zugleich zu Heilsbringern emporgehoben und zu Erziehern und Therapeuten gemacht. Irgendetwas kann nicht stimmen. „Mein Feind, der Chef“ titelt die Süddeutsche Zeitung (29.09.12) und stützt sich auf einen der eifrigsten Mitarbeiter- Streichler in der Beraterszene, Martin Wehrle. Das Zitat pointiert die Summe seiner Mitarbeiterbefragungen. Auf Führungskräfte einzudreschen, ist zwar schwer in Mode und sorgt für Sympathiegewinn, geht indes an den Realitäten vorbei. Die Behauptung etwa, in Unternehmen herrschten Kommandieren und Gehorchen vor, ist nicht einmal mehr gestrigen, sondern vor-vorgestrigen Datums und seit Jahrzehnten in deutschen Unternehmen nicht mehr 52 P.T. MAGAZIN 6/2012
Das Buch zum Thema ■ Unternehmen in der Psychofalle. Wege hinein. Wege hinaus - Mein Coach. Mein Therapeut. Mein Chef. BusinessVillage 2012, ISBN 978-3-86901872, 24.80 Euro (Foto: Business Village) konsensfähig. Im Angebot des Artikels ist auch ein „Idioten-Test“. Mit seiner Hilfe können Mitarbeitende „prüfen“, ob – wer denn sonst? – eigene Vorgesetzte Idioten sind – wahlweise auch „wahnsinnig“ oder „irre“. Um- und Befragungen dieser Art kreiden regelmäßig an, Chefs und Chefinnen würden zu wenig loben und wertschätzen, seien keine Charismatiker und kümmerten sich zu wenig um das umfassende Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden. „Streichelzoo“ Büro? Man mache sich klar: Da antworten erwachsene Menschen, die einerseits „auf Augenhöhe“ mit Führenden interagieren, bei unternehmerischen Entscheidungen mitreden wollen und sich gleichzeitig danach sehnen, von einem hierarchisch höher Gestellten Streicheleinheiten zu erhalten, und zwar häufig, persönlich und keineswegs nur für außergewöhnliche Leistungen, sondern dafür, dass sie das tun, was zu tun sie sich verpflichtet haben. „Burnout“ markiert den vorläufigen Gipfel der Psychologisierung. Die Psychologisierung der Arbeitswelt wird seit Jahrzehnten durch eine Gemengelage begünstigt, deren Kennzeichen das Anwachsen von Komplexität ist. Insbesondere die Zunahme von Spezialisierung und Internationalisierung veränderte das Verständnis von Führen und Geführten. „Untergebene“ werden „Mitarbeiter“, und „Vorgesetzte“ werden „Führungskräfte“ bzw. Coaches, Leader, Kulturmanager, Mentoren, Moderatoren und ähnliches. Das psychologische Moment erhält zunehmendes Gewicht. Beispielsweise reüssierte das Modell von der partizipatorischen Führung. Es fordert unter anderem, dass Führende „auf Augenhöhe“ und zugleich psychologisch reflektiert und in heiklen Führungssituationen in quasitherapeutischer Manier mit Mitarbeitenden sprechen und ihnen „das Gefühl“ geben, an Entscheidungen maßgeblich beteiligt zu sein. Oder die Rolle des Coaches, dessen Hauptaufgabe darin liegt, sich jedem Mitarbeitenden empathisch, individuell, feinfühlig und hellhörig zu widmen. Retter wider Willen Der Gipfel von Psychologisierung und Therapeutisierung ist mit dem Thema Burnout erklommen. Führungskräfte werden als Verursacher verunglimpft und Mitarbeitende als Opfer unfähiger, kaltherziger, narzisstischer Führung gehätschelt. Gleichzeitig werden Führende von einer Allianz aus Psychoexperten, Medizinern, Personalern und Weiterbildnern zu Rettern auserkoren. Das ist konsequent. Denn gerade weil sie Schuld am Leid von Mitarbeitenden sind, müssen sie für Besserung sorgen: psychologisch, präventiv, kurativ, ganzheitlich. Unabhängig von der Frage, ob sich Führungskräfte (und Unternehmen) als Adressaten für die Forderung nach gesamthafter Arbeits- und Lebenszufriedenheit eignen, übersteigt dieses Pensum qualitativ und quantitativ das Leistungsvermögen. Folglich stellt sich die Frage, wie Führende aus den Fängen psychologischer Zumutungen herauskommen. Zwei Optionen liegen nahe: die Konzentration auf Verhalten und Folgen und die Beschränkung auf die berufliche Rolle. Die Konzentration auf Handeln, Verhalten und Folgen fußt auf verhaltenspsychologischen Erkenntnissen, verbindet sich mit Pragmatismus und ist Basis für Verhaltensökonomie. Ihr Vorteil liegt darin, dass sich alle Beteiligten darauf einigen können, dass das zählt, was offenkundig ist und Auswirkungen von Handlungen im Blick stehen. Damit ist der Abschied von psychologischen Imperativen eingeleitet, die Innerseelisches, Selbstverwirklichung und Unbewusstes anvisieren. Führende können darauf verzichten, aus Mimik, Gestik, Sprachmelodie und anderen nonund verbalen Anzeichen oder Andeutungen Bedeutung „herauszulesen“ und psychologische Vermutungen über innere Befindlichkeiten, mögliche Motive etc. anzustellen. Konzentriert Euch! Die Reduktion auf Rollen ist noch handfester. Die Rollen Führungskraft und Mitarbeiter haben einen allgemeingültigen Kern an Pflichten und Rechten, an legitimen Erwartungen und Anforderungen; sie stellen zudem ein Set an Inhalten bereit, die Gegenstand von Kommunikation werden können, weil sie zu den Rollen gehören. Beispiel: Verlangt eine Führungskraft von Mitarbeitenden, dass diese im Bedarfsfall in der Kinderbetreuung assistieren, bewegt sie sich außerhalb der definierten Rolle und legitimer Anforderungen. Erwartet eine Mitarbeiterin, die durch familiäre Konflikte belastet ist, dass die Führungskraft moderativ interveniert, bewegt sie sich ebenfalls außerhalb des Legitimen. Das Gleiche gilt, wenn eine Führungskraft entscheidet, für Konflikte im Team grundsätzlich nicht zur Verfügung zu stehen, weil Konflikte für sie zu bedrückend seien. Oder wenn ein Mitarbeiter sich weigert, Routineaufgaben zu erledigen, weil er meint, damit würge er seine kreative Lebensenergie ab. Fazit: Psychologisiertes Führen im Sinn des „Pamperns“ ist weder ein unerlässliches Gebot noch alternativlos. ■ Dr. Regina Mahlmann Über die Autorin ■ Dr. Regina Mahlmann, promovierte Soziologin und Philosophin, arbeitet als Coach, Beraterin und Referentin in und für Unternehmen – als Sparringpartnerin für das Topmanagement und als Impulsgeberin und Begleiterin von Gruppen, insbesondere in veränderungsreichen und daher spannungsreichen Phasen eines Unternehmens. www.dr-mahlmann.de 6/2012 P.T. MAGAZIN 53
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