Wer braucht das? Wirtschaft Wie Kulturpessimisten den Weg in die Zukunft verteufeln Von technischen Neuerungen aus der Raumfahrt profitieren wir heute im Alltag. Nur kurzsichtig argumentierende Kritiker zweifeln am Sinn einer Marsmission. Unverhofft kommt oft – nicht zuletzt eine unerquickliche Grundsatzdiskussion, in der offenbar unvereinbare Gegensätze, die nicht zuletzt Folge der meist einseitig und schlecht informierten Berichterstattung in den Medien sind, aufeinander treffen. Auslöser dieses Beitrages war eine auf den ersten Blick harmlose und zumindest aus Sicht des Autors amüsante Kurzmeldung, nach der ein bekannter Bezahldienst seine Tätigkeit auf das Weltall ausdehnen möchte. Nach einigen Kommentaren auf einer sozialen Plattform, auf der ein Freund einen Link zu einem kurzen Bericht hierzu gepostet hatte, die zunächst zwischen „was für eine lustige Idee“ und „gar nicht so schlecht“ verliefen, schaltete sich unvermeidlich ein Kritiker ein. (Foto: Siemens AG, Munich/Berlin ) Die irdischen Problemchen Dessen erster Kommentar war „??? Was für'n bullshit …“, was zunächst beschwichtigende Kommentare Anderer zur Folge hatte. Von diesen offenbar unverbesserlichen Technologiebegeisterten angestachelt ließ es sich der Kritiker nicht nehmen, seine Sicht der Welt und heutiger Notwendigkeiten darzulegen: „Vielleicht klären wir Menschen erstmal die [...] irdischen Problemchen ... Jahrzehntelange Indoktrination hat Technik und Naturwissenschaft „erfolgreich“ verteufelt Straßenbau, Staatsbankrott, Verarmung, Bildung, Erziehung...“. Wenn den Lesern dieser Zeilen solche Reaktionen bekannt vorkommen, zeigt allein das bereits, mit welchem Problem wir als Technik- und Wissenschaftskulturland mittlerweile zu kämpfen haben. Was diese Kommentare nämlich widerspiegeln, ist das Resultat einer jahrzehntelangen Indoktrination, die schon seit langem zur Folge hat, dass Technik und Naturwissenschaften in einem Maße an Ansehen verloren haben, das noch in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts schier undenkbar gewesen wäre. Um die obigen Punkte der Vollständigkeit halber kurz aufzugreifen: Straßenbau ist eine erstaunlich komplexe Angelegenheit; beispielsweise basiert eine gut zu durchfahrende Kurve auf einer sogenannten Klothoide, einer Kurve, die 1694 von Jakob I. Bernoulli und 1743 von Leonhard Euler untersucht wurde – damals sicherlich nicht mit dem Hintergedanken des praktischen Straßenbaus. Staatsbankrott und Verarmung lassen sich sicherlich nicht ohne große Investitionen in die Bildung und Erziehung lösen. Gerade Letzteres erzwingt jedoch geradezu die Möglichkeit, auch „spinnen“ zu dürfen, um ausgetretene Wege verlassen zu können. Bewunderung menschlichen Erfindungsgeistes Die übliche, kurzsichtige Argumentationslinie solcher Technikkritiker folgt stets einem einfachen Muster: Im ersten Schritt wird minder subtil hinterfragt, wer denn ein Interesse an einer x-beliebigen Entwicklung haben könnte. Wenn sich daraufhin nicht erwartungsgemäß Betroffenheit ausbreitet, wird im nächsten Schritt darauf hingewiesen, dass es doch so viel dringendere Probleme der Menschheit als just diese Entwicklung gäbe und „unser“ Geld doch viel besser für die Lösung dieser ausgegeben würde. Schon angesichts der bis heute unübertroffenen Höchstleistung der bemannten Mondlandungen, auf die Bewunderung und Stolz auf menschlichen Erfindungsgeist angemessene Reaktionen sind, wurden Stimmen laut, die auf eine „bessere“ Verwendung der Gelder drängten, die in das Apollo-Projekt investiert wurden – sehr zum Schaden einer ganzen Nation, wie sich – nicht ganz unerwartet – nun aus der Retrospektive zeigt. „Wer braucht das?“ Diese Frage an sich geht schon fehl, da die meisten, die sie stellen, von sich auf andere schließen, sei es hinsichtlich ihres beschränkten Horizonts oder aber der Tatsache, dass sie eine bestimmte Entwicklung vielleicht (im Moment) persönlich wirklich nicht brauchen. Wer kann sich jedoch anmaßen, eine Abschätzung der sich aus einer Neuentwicklung unvermeidlich ergebenden positiven Technikfolgen abzugeben? Eine etwas, wenngleich nicht wesentlich bessere Formulierung wäre: „Was bringt es?“ Um beim Beispiel eines Weltraumbezahlsystemes zu bleiben: Zunächst einmal ist es eine schöne Marketingidee. Darüberhinaus gibt es aber sicherlich eine ganze Reihe direkter und indirekter Nutzeffekte: Vielleicht liefert diese Idee Stoff für eine oder mehrere Bachelor- oder Masterarbeiten, vielleicht kann sie im Rahmen einer Beispielimplementation umgesetzt werden und dient so direkt zur Ausbildung einer nachrückenden Generation von Informatikern und Ingenieuren. Vielleicht werden in einem solchen Rahmen auch neue Netzwerkprotokolle entwickelt, die allgemein für die Abwicklung sicherer Transaktionen über Netzwerke mit hoher Latenz und geringer Bandbreite abgewickelt werden können, wovon ganz direkt viele Menschen einen Vorteil haben könnten. Das Rückgrat unserer westlichen Zivilisation Menschen, die oft „Wer braucht das?“ beziehungsweise „Wofür ist das gut?“ fragen, sind nicht nur Symptom einer vernachlässigten Imagepflege technischer und naturwissenschaftlicher Bereiche, sondern mittlerweile eine der Hauptursachen für das fast in allen Bereichen der Gesellschaft schlechte Ansehen dieser Wissenschaften, ohne die jedoch gerade eine auf ihnen beruhende Gesellschaft wie die unsere, deren Hauptprodukt noch immer kreative Lösungen für technische Probleme darstellen, zum Scheitern verurteilt ist. Fragen wie die obigen werden heutzutage nicht nur goutiert, sondern gehören nachgerade zum guten Ton und dies leider nicht mehr nur in traditionell eher links orientierten Schichten. Wie oft findet man sich als Naturwissenschaftler, als Ingenieur etc. in einer Position wieder, in der man nicht nur sein Spezialgebiet, sondern auch sich selbst gegen Angriffe verteidigen muss, die mittlerweile schon fast zum guten Ton unserer Gesellschaft zu gehören scheinen. Hierbei ist wohl keinem Kritiker bewusst, wie stark er von just den Techniken abhängt, die er verteufelt. Die Bedenkenträger haben die einfachsten Grundlagen der Statistik nicht verstanden Nur die wenigsten erfolgreichen Technologien, die das Rückgrat unserer westlichen Zivilisation bilden, gingen aus einer von Anfang an zweckgerichteten Forschung hervor, wie sie so oft gefordert wird; ein Trend, der leider auch vor Universitäten und Hochschulen schon lange keinen Halt mehr macht und diese früher so fruchtbaren Bereiche in ein Korsett zwängt, aus dem heraus Neues kaum zu schaffen ist. Vielmehr sind die meisten bahnbrechenden und wegweisenden Entwicklungen dem homo ludens, dem spielenden und damit vor allem spielend forschenden und entwickelnden Menschen zu verdanken. Wer stets zu Beginn einer neuen Idee, eines neuen Vorhabens, die Frage nach dem direkten Nutzen stellt, zerstört das zarte Pflänzchen des Fortschritts und zerstört damit direkt den Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland! Eine Kultur der Kreativität Um die in der Überschrift gestellte Frage zu beantworten, wer „das“ braucht: Wir! Wir als Hochtechnologiestandort, wir als Nation, wir als Kultur und wir als Welt brauchen das! Wir brauchen nicht nur neue und auch zum Teil versponnene Ideen, sondern auch und vor allem ein Umfeld, das offen für Neues ist, ohne gleich nach dessen Sinn und Verwertbarkeit zu fragen. Wir brauchen eine Kultur der Kreativität, was auch eine aktive Technikbejahung erfordert. Allein die Tatsache, dass der Begriff „german angst“ Eingang in den angelsächsischen Sprachraum gefunden hat, ist ein eigentlich nicht zu überhörendes Warnsignal, das wir nicht länger übersehen dürfen. So viele Probleme Technik auf den ersten und meist Saatgut und durch Elektrophorese sichtbar gemachte DNA-Fragmente voreingenommenen Blick mit sich zu bringen scheint, löst sie im Allgemeinen bedeutend mehr als sie schafft. Angst sollte man vor der lähmenden Ängstlichkeit haben, die sich unserer Gesellschaft längst in großen Teilen bemächtigt hat, nicht vor der Veränderung, die die unaufhaltsam voranschreitende Technikentwicklung mit sich bringt. Was wir brauchen, ist nicht nur eine Bildungspolitik, die wieder verstärkt technisch/naturwissenschaftliches Grundverständnis und Interesse an den nicht zu unrecht so genannten „harten Naturwissenschaften“ weckt und fördert. Darüberhinaus brauchen wir eine Politik, die ihre Entscheidungen auf Grundlage von Sachverstand und nicht Wählerstimmen trifft. Wir brauchen nicht mehr Dichter und Denker, wir brauchen mehr Naturwissenschaftler und Techniker, wir brauchen eine Jugend, die nicht vor lauter grüner und linker Indoktrination den Kopf vor den Herausforderungen der Zukunft in den Sand steckt, sondern vielmehr aktiv an deren Bewältigung durch Technologie mitarbeitet. Was wir nicht brauchen, sind die ewigen Bedenkenträger, die ihre Kinder nicht mehr impfen lassen, Kernkraft per se verteufeln, Gentechnik verdammen etc., weil sie die einfachsten Grundlagen der Statistik nicht verstanden haben. n Bernd Ulmann Über den Autor n Der Informatiker Bernd Ulmann ist Professor an der Hochschule für Oekonomie & Management in Frankfurt am Main. (Foto: Bernd Ulmann) (Foto: Wikipedia, USDA, Jack Dykinga, gemeinfrei) 50 P.T. MAGAZIN 5/2013 5/2013 P.T. MAGAZIN 51
Laden...
Laden...
Copyright © 2006-2017 OPS Netzwerk GmbH.
powered by SITEFORUM
Follow Us
Facebook
Google+