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P.T. MAGAZIN 04/2014

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Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung

Durch das wilde

Durch das wilde Schurkistan (alle Fotos: Margrit B. Krueger, D-Rolf Becker ) Wirtschaft „D-Rolf“ Becker rollt im Achtzylinder von Halle nach Pakistan. Und trifft dabei auf Länder und Menschen, die anders funktionieren, als es Fernsehen und Tourismusmessen weismachen möchten. 46 8.500 Kilometer sind es vom sachsenanhaltinischen Halle bis ins indische Mumbai, eine Route, für die es keine ADAC-Streckenhandbücher, keine Marco- Polo-Insidertipps und schon gar keine Reiseempfehlungen des Auswärtigen Amts gibt. Weltenbummler, Aktionskünstler, Trabi-Fahrer und PR-Maschine D-Rolf schrubbt sie im Mai/ Juni 2013 dennoch. Warum? „Weil ich da gar nicht so groß darüber nachdenke, dort noch nie gewesen bin und die Gelegenheit günstig war“, sagt der 67-jährige. An dieser Stelle muss vielleicht noch erwähnt werden, dass Rolf Becker bereits Amerika, Australien, Afrika, Sibirien, die Seidenstraße, Paris-Dakar und noch etliche andere globale Herausforderungen bezwungen hat – vorzugsweise im Trabant. Die Reise, die über Österreich, die Ukraine, Georgien, Iran, Afghanistan und Pakistan nach Indien führt, ist gesäumt von schlechten Straßen, atemberaubender Natur, kulturellen Antipoden und bewaffneten Konvois. Und endet, als am Nanga Parbat, dem deutschen „Schicksalsberg“, zehn Bergsteiger erschossen werden. Doch der Reihe nach. Es regnet in Strömen, als Rolf Becker und die Fotografin Margrit Krueger Anfang Mai 2013 in München das Carnet de Passages für ihren 7er BMW abholen. Für die nächsten Wochen werden sie die größte Zeit hinterm Steuer des Achtzylinders sitzen, der, so der Plan, in Mumbai gegen einen indischen Tata Nano (das mit 1.440 Euro derzeit wohl günstigste Auto der Welt) getauscht werden soll. In Österreich ist das Benzin günstig, in Ungarn die Übernachtung gut. Wer wissen möchte, wo Europa endet, muss nicht die Tagesschau, sondern die Straßenverhältnisse studieren. Wenn Asphalt das Eichmaß der Zivilisation ist, dann ist in der Ukraine Schluss damit. In jenem Frühsommer 2013 brodelt es noch nicht an der Oberfläche, aber man spürt, dass die Ukraine im Konflikt um Ost- oder Westorientierung so zerrissen wie seine Straßen ist. Ein paar Monate später werden aus den studentischen Protesten schwere Ausschreitungen, „Reisen ist tödlich für Vorurteile.“ Mark Twain aus dem innenpolitischen Konflikt ein nicht mehr überschaubares Muskelspiel europäischer, russischer und amerikanischer Interessen. Doch was interessieren sich die Menschen in der Bukowina dafür, wer von den zu Staatsmännern/ frauen umgepolten Oligarchen nun in Kiew das Zepter schwingt? Die Straßen werden schlecht bleiben, in den Dörfern, irgendwo zwischen Czernowitz und Odessa. Dort, wo vor jedem Holzhäuschen ein Brunnen steht, wird sich das Versprechen auf Wohlstand, Modernisierung und Fernwärme weiterhin vertagen. Die Welt ist hier zu Ende. Oder zumindest stehengeblieben. Ein Kamerateam hat sich, im Gegensatz zu D-Rolf, hier noch nie blicken lassen. Der BMW schnurrt durch die bessarabische Hügellandschaft, gestärkt mit Schopska-Salat, kaltem Bier und Wodka erreicht man Odessa. „Hier atmet man ganz Europa", sagte der Schriftsteller Alexander Puschkin einst über die Stadt am Schwarzen Meer und tatsächlich: Wenn sich die Ukraine irgendwo europäisch anfühlt, dann hier. Zumindest, wenn es um Architektur, Kultur und all die anderen Dinge geht, die sich Touristen gefallen lassen könnten. Dieser Weltgeist versickert jäh in der ukrainischen Zollstube, wo die Formalitäten für den Fährtransport nach Georgien „geklärt“ werden sollen. Ab jetzt herrscht der lange und willkürliche Arm der Bürokratie. Ein in der Ukraine nicht zugelassenes Schmerzmittel aus der Reiseapotheke wird zum Stein des Anstoßes, die Pässe werden konfisziert, die Anklage lautet Drogenhandel. P.T. MAGAZIN 4/2014

P.T. MAGAZIN 4/2014 Es braucht über eine Stunde heftiges Debattieren, erst auf russisch, dann auf englisch, bis der diensteifrige Major einsieht, dass hier kein Bakschisch zu verdienen ist. Die Warnung, dass es beim nächsten Mal nicht so schonend abgeht, gibt es ebenfalls gratis. Doch das osteuropäische Sprichwort „Wenn du ein Problem hast, dass du nicht wegkriegst mit Geld, dann kriegst du es weg mit viel Geld“ erfährt im Hafen von Odessa seine stereotype Bestätigung. „Mit Korruption musst du auf solchen Touren immer rechnen. Aber viel reden hilft meistens auch viel, was eher meine Strategie ist“. Entschuldbar ist, welchen Weg auch immer das Land nehmen wird, Korruption nicht, weder kulturell noch sozial. Doch wer hier in Positionen sitzt, nutzt das aus. Einige tausend Kilometer weiter werden es nur noch die Kalaschnikows sein, die Positionen schaffen. Geduld, Mut und guter Humor Mit der Fähre namens „Greifswald“ geht es drei Tage übers Schwarze Meer nach Batumi. Mit an Board sind auch Robin, der mit 20-Kilo-Rucksack und gesundem Elan von Deutschland bis in die Berge der Ukraine, Rumänien und Türkei wandert, Zoltan will per Fahrrad zum Himalaya, schwedische Biker wollen mit ihren Harleys die Berge Georgiens durchpflügen. Mit dem Auto nach Indien will bis auf Rolf und Margrit gerade niemand. In Batumi kriegt der BMW eine neue Steuerkette und die Reisegesellschaft zwei Tage Pause. Batumi ist es wert. Das Nachtleben tobt in Cafés und Bars, an der Promenade bewegen sich Wasserspiele zur Musik der Stones, die Stadt ist ein pulsierendes Meer aus Licht und Menschen: hilfsbereit, freundlich, trinkfest, aufgeschlossen. Es ist der Tanz auf dem Scherbenhaufen Transkaukasiens, den die NATO und Russland mit dem Georgienkrieg 2008 hinterlassen haben. Die USA hatten sich 1999 im „Silk Road Strategy Act“ darauf festgelegt, starke politische, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Bindungen zwischen den Ländern des Südkaukasus und dem Westen zu entwickeln. Hintergrund sind „Froh schlägt das Herz im Reisekittel, vorausgesetzt man hat die Mittel.“ Wilhelm Busch die Ölförderungen in Turkmenistan und Aserbaidschan, die Georgien zu einem strategisch wichtigen Transitland für das schwarze Gold machen. Seit 1994 erhält Georgien US-amerikanische Militärhilfe und seit 2002 sind US-Militärausbilder für verschiedene Programme in Georgien tätig. Diese Osterweiterung der NATO, mit der Georgien den Intensiven Dialog (ID) pflegt, kommt einer Brüskierung Russlands gleich, versprach man doch 1990, eine „Ausdehnung des NATO- Territoriums nach Osten werde es nicht geben“ (so der damalige Bundesaußenminister Hans Dietrich Genscher). Dem Westen ist dieser Wortbruch egal. Das geopolitische Schachspiel kennt nur Bauernopfer. Und eine neue Partie wird gerade in der Ukraine gespielt. Die Reise geht weiter. Vom Stadtzentrum Batumis sind es nur 18 km bis ins Nachbarland Türkei. Es geht durch das östliche Kurdistan, Karl May war hier nie gewesen, der BMW trotzt Steinschlägen und sandigen Pisten, am Abend steht er vor dem iranischen Grenztor. Eine erste Weisung der Grenzer geht an die Fotografin, sie möge Gebaut in Rostock, die Feuerlöscher aus Neuruppin und unter der Flagge Panamas registriert: Mit der „Greifswald“ geht es über das Schwarze Meer. ihren Kopf mit einem Tuch bedecken. Die zweite Weisung geht an beide und verbietet die Einreise. Das in Berlin beantragte Visum ist seit zwei Tagen abgelaufen, ein neues gibt es im iranischen Konsulat. Das befindet sich türkischen Erzurum, 300 Kilometer entfernt. In Begleitung eines „Beamten“ darf immerhin zur Tankstelle gefahren werden. Die Diplomaten in Erzurum sind nicht wirklich diplomatisch, am heiligen Freitag wird es auch für Weltmänner wie D-Rolf schwierig, den Beamtenapparat von der Dringlichkeit der Dinge zu überzeugen. Irgendwie klappt es dann doch noch, auf der nächtlichen Rückfahrt in den Iran findet im Hotel eine kurdische Hochzeit statt, die Einladung ist selbstverständlich. In Deutschland ist das kaum vorstellbar. Überhaupt: Die Freundlichkeit, die Gastfreundschaft, die Bereitschaft zu helfen, ohne einen Gegenwert zu erwarten. Als am BMW die Ölwanne repariert werden muss, bekommt Rolf eine Unterbodenplatte zum Schutz gleich mit eingeschraubt, wenn fotografiert wird, möchten alle mit aufs Bild. Zurück im Iran wird die Sache mit den Fotos schon problematischer: „Der Iran ist ein Polizeistaat. Man kann sich dort tatsächlich recht sicher bewegen. Beachten muss man nur zwei Dinge: Erstens: keinen Alkohol! Und zweitens: Die Frauen sind tabu, auch was das Fotografieren angeht.“ Was hinge- Trotz Rotem-Kreuz-Emblem: Durch Pakistan geht es nur im bewaffneten Konvoi….

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