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P.T. MAGAZIN 04/2014

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Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung

Gesellschaft Deflation

Gesellschaft Deflation – Eine Gespensterjagd „Um die bürgerliche Gesellschaft zu zerstören, muss man ihr Geldwesen verwüsten.“ (W. I. Lenin, 1870-1924) (Foto: fahrradfritze/flickr.com (CC BY-NC 2.0)) 10 Europa auf dem Weg in die Deflation? 3% 2% 1% 0% -1% -2% -3% -4% Deutschland Frankreich Entwicklung der Deflationsrate gegenüber Vorjahresmonat (in %) Feb Mär Apr Mai Juni Juli 2013 Ein neues Gespenst wurde in Europa gesichtet: Die Deflation des Preisniveaus, also ein sinkender Durchschnitt aller Preise. Zwar sinkt das Preisniveau noch gar nicht, es steigt vielmehr, nur nicht mehr so schnell wie zuvor, aber auch das nennt man gewöhnlich Inflation. Und weiter: Laut Projektionen der Europäischen Zentralbank (EZB) wird das Preisniveau auch wieder steigen. Da aber die EZB eine Inflationsrate „nahe der 2 Prozent-Marke“ anstrebt und das für Preisstabilität hält, wird jetzt eine schwächere Inflation schon als Deflation bezeichnet – oder zumindest als drohende Deflation. Dagegen müsse etwas unternommen werden, und die EZB assistiert raunend: Man prüfe die Wirkung einer Ein-Billionen-Geldspritze. Als die EZB gegründet wurde, hörte sich das noch ganz anders an: Eine Inflationsrate „unter zwei Prozent“ werde als Preisstabilität bewertet; das ist offensichtlich eine ganz andere Aussage, die jeder Deflationsphobie entgegensteht, wenn die Inflationsrate mal auf beispielsweise 0,7 Prozent (aktueller Wert) sinkt. Was ist von der Deflationsphobie Italien Spanien Griechenland Aug Sep Okt Nov Dez Jan Feb 2014 Quelle: Eurostat/Statista Grafik: OPS Netzwerk GmbH/F. Enge Die Inflation in der EU bis März 2014: Wie der Blick auf die letzten Monate zeigt, befindet sich die Teuerungsrate schon seit geraumer Zeit im Abwärtstrend. zu halten? Die Antwort lautet: Humbug, eben eine Gespensterjagd, die es ja auch nicht wirklich geben kann, es sei denn, man glaubt an Gespenster. Real und mit Händen zu greifen ist dagegen die Inflation. Freilich gilt: Ein stabiles Preisniveau – also weder Deflation noch Inflation – muss der Wegweiser für geldpolitisches Handeln sein. Geht man der Sache auf den Grund, dann wird deutlich, dass auch die Protagonisten der Gespensterjagd nichts weiter als das beliebte Märchen erzählen, wonach man sich am eigenen Schopf aus dem Wasser ziehen kann, hier in der Variante: Alles was fehlt, sei Geld, Geld und nochmals Geld, am besten geschenkt oder wenigstens zum Nulltarif, also zinslos. Das Gefährliche an dieser Politik ist, dass sie nur scheinbar – also dem Scheine nach – allen hilft: dem Politiker, um Wahlgeschenke unter das Volk zu bringen, dem Banker, der 25 Prozent auf das Eigenkapital verdienen möchte, dem Unternehmer, der Investitionen finanzieren will, dem Konsumenten, der eine neue Küche wünscht, aber nichts auf der hohen Kante hat. Für nichts verschulden sich viele gern. Enteignete Sparer Eine Ausnahme gibt es allerdings von „alle“. Das sind diejenigen Menschen, die sagen: erst wird gespart, dann gekauft, oder die sagen, „spare in der Zeit, dann hast du in der Not“, kurz diejenigen, die fach- und gemeinsprachlich als Sparer bezeichnet werden und die schon P.T. MAGAZIN 4/2014

P.T. MAGAZIN 4/2014 jetzt in Deutschland jährlich mit ca. 70 Milliarden Euro vorenthaltener Zinsen zur Kasse gebeten, nein: die zum Zinsverzicht gezwungen werden. „Na und!“, werden unsere Gespensterjäger sagen, Hauptsache sei doch, dass Politiker die „notwendigen“ Staatsaufgaben erfüllen, dass die Konjunktur brummt und dass unsere Banken nicht kollabieren. Das sei das Opfer, das die Sparer erbringen, doch wert; und arbeitsloses Zinseinkommen sei doch ohnehin moralisch verwerflich. Aber diese Rechnung geht nicht auf. Am Ende dieses Opfers der Sparer werden die Sparer geopfert sein. Dann kann der Staat sich nicht mehr refinanzieren, und Investitionen wird es auch nicht mehr geben, denn Investieren ohne Sparen geht nun mal nicht. Zunächst ein paar Hinweise, wozu Geld überhaupt erfunden worden ist. Geld erleichtert das Tauschen. 41 Millionen Menschen in Deutschland tauschen täglich ihre Arbeitskraft gegen – ja, was? Geld mögen manche sagen. Aber bis vor gut zweihundert Jahren arbeitete die Masse der Arbeitnehmer noch für „Kost und Logis“. Es wurde und wird Arbeitskraft gegen Lebensunterhalt getauscht, früher direkt, heute indirekt, vermittels des Geldes, das dem gedachten Arbeitnehmer die Geldkaufkraft verschafft, die ihm den Kauf des Lebensunterhaltes ermöglicht. Und nicht nur das, er kann das Geld, den Wert seiner Arbeitskraft, auch sparen, beispielsweise um für ein Festmahl zum nächsten runden Geburtstag Geld in der Tasche zu haben. Geld macht uns also freier in der Entscheidung darüber, wozu und wann wir den Wert unsere Arbeitskraft verwenden wollen – aber eben nur bei wertstabilem Geld. Herrscht dagegen Inflation, dann ist das vergleichbar mit verfaulenden Kartoffeln oder von Mäusen aufgefressenem Getreide in jener Zeit, als der Lohn noch mit Naturalien bezahlt wurde. Da war es besser, den Wert der Arbeit sofort zu konsumieren, sparen für die Not oder Feiertage also technisch gar nicht möglich, arm blieb arm. Aus dieser Unfreiheit sollte uns wertstabiles Geld befreien. Um die Dramatik nicht stabilen Geldes zu verdeutlichen, denke man sich ein reiches, sparsames und klug und sicher sein Geld anlegendes Kapitalistenpaar. Das Geldvermögen betrage zwei Million Euro, das Paar schaffe eine Verzinsung von 4 Prozent bzw. 80.000 Euro vor Steuern und 60.000 Euro nach Steuern. Davon kann man ohne andere Einkommensquellen leben. Was aber sind nach 45 Jahren die 60.000 Eure wert? Unter der – illusionären – Annahme, die Kapitalertragssteuer betrage dann immer noch nur 25 Prozent, und den weiteren Annahmen, das Kapital werde nicht angegriffen sowie jährlich zwei Prozent Inflation, lautet die Antwort: 24.612 Euro. Das ist dann weniger als ein Hartz IV- Paar in 45 Jahren mutmaßlich real erhält. Aus einem gut situierten, sparsamen und das Kapital nicht verzehrenden Kapitalistenpaar wurde ein Sozialfall. Das ist in etwa die Geschichte der Deutschen Mark. Die DM-Währung wurde deshalb auch zu Recht als „einäugige unter den Blinden“ bezeichnet. Andere Währungen sind noch viel dramatischer im Wert gefallen. Deflationsgespenst Andererseits ist zu fragen: Ist ein schwankendes Preisniveau, d.h. mal etwas Inflation, mal etwas Deflation, überhaupt eine Gefahr? Hier lautet die Antwort: nein! Die ganze Aufregung über ein sinkendes Preisniveau gilt einem Gespenst. Die Gespensterjäger tragen vor, ein allgemein sinkendes Preiseniveau müsste einen Produktions- und Konsumattentismus bewirken. „Die“ Unternehmer würden die Produktion einschränken, „die“ Konsumenten auf weiter sinkende Preise spekulieren. Nur, „die“ Unternehmer und „die“ Konsumenten gibt es in der Wirklichkeit nicht. Schaut man auf Unternehmer und Konsumenten aus Fleisch und Blut, dann löst sich das allgemeine Preisniveau auf in Hundertausende Preise ganz konkreter Waren und Dienstleistungen. Und das Auf und Ab dieser Preise interessiert einen Unternehmer, soweit sie sein Unternehmen betreffen. Spannend ist Unternehmer aus Fleisch und Blut geraten nicht in Panik, wenn die Preise ihrer Produkte fallen, oder in Euphorie, wenn sie steigen. Henry Ford darf da gern als Urvater dienen. (Foto: Library of Congress/Wikimedia commons (public domain)) nun zu sehen, dass gerade die Preise von Produkten erfolgreicher Unternehmen eher fallen. Der Leser denke beispielsweise nur an die dramatische Verbilligung von Computern in den letzten Jahrzehnten: Tausende neue Unternehmen und Hundertausende neue Arbeitsplätze sind entstanden. Steigende Preise von Waren und Dienstleistungen finden sich in solchen Branchen, in denen den Unternehmern nicht mehr viel einfällt, deren Innovationskraft erschöpft ist, Waren und Dienstleistungen also, deren relative Bedeutung im Fächer der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung zurückfallen. Worauf es an diesem Punkt aber ankommt, ist, Unternehmer aus Fleisch und Blut geraten nicht in Panik, wenn die Preise ihrer Produkte fallen, oder in Euphorie, wenn sie steigen. Ihre Gemütslage wird vor allem nicht erschüttert, wenn das durchschnittliche Preisniveau schwankt. Wichtig ist ihnen nur, ob sie ihre Unternehmen über Wasser hal-

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