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P.T. MAGAZIN 03/2011

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Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung

Wirtschaft Regulieren

Wirtschaft Regulieren statt Resignieren Why isn’t Wall Street in Jail? Die neue Blase Für eine strafrechtliche Aufarbeitung der Finanzkrise fehlt die juristische Infrastruktur „Why isn’t Wall Street in Jail?“, 1) fragte der „Rolling Stone“ vom 16.02.2011. Dieselbe Frage, auf deutsche Verhältnisse umformuliert, stellte der Autor dieses Artikels im Aufsatz „Strafrechtliche Aspekte der Asset Backed Securities“ in der Zeitschrift WISTRA. 2) Ulrich Jörges, Chefredakteur des „Stern“, griff die Forderung in seinem Kommentar „Die große Verschleierung“ auf und forderte ein Eingreifen der staatlichen Ermittlungsbehörden – ohne Erfolg. 3) Im Januar 2011 legte der US-Kongress nach der Befragung von 700 Zeugen und der Sichtung unzähliger Dokumente auf 633 Seiten seinen Abschlussbericht zu den Ursachen und Verantwortlichen der Finanzkrise vor. Dieser bestätigt die Einschätzung, dass das gesamte Geschehen kein unvorhergesehenes Ereignis, sondern das Ergebnis fehlerhaften und auch kriminellen Verhaltens war. Teile des Berichts gehen an Aufsichtsbehörden und Staatsanwaltschaften. Die Lage in Deutschland (Foto: © Rike/PIXELIO) Da es hierzulande keine Untersuchungskommission zur Finanzkrise gab, gibt es auch keinen Untersuchungsbericht, aus dem man Konsequenzen ableiten könnte. Die Staatsanwaltschaften sind in Deutschland Ländersache und weisungsgebunden. So ist es für keinen Landesjustizminister ein Problem, Ermittlungen, z. B. gegen Parteispender und Parteifreunde, zu verhindern. In Deutschland entstanden die meisten Verluste aus der Finanzkrise in den sieben größten Landesbanken 4) und in der von der staatlichen KfW kontrollierten IKB. Daher verantworten Spitzenpolitiker fast aller Parteien in deren Aufsichtsgremien das Kontrolldesaster im Vorfeld der Finanzkrise. Also gibt es nur eine Übereinstimmung, die zur „großen Verschleierung“, wie es Jörges treffend formulierte. Dabei sind die Schuldenprobleme aus der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht „weg“, sondern in die Zukunft verschoben. Lag die gesetzliche Schuldengrenze der USA Ende 2008 noch bei 10,615 Bio. Dollar, erreichte im März 2011 die neue gesetzliche Schuldengrenze 14,3 Bio. Dollar. In Deutschland stieg die Verschuldung zum Ende 2010 auf fast 2 Bio. Euro, gerechnet ohne die Schulden aus Pensionszusagen oder Schattenhaushalten. Die jetzige „Stabilität“ nebst „Konjunktur“ beruht auf einem einfachen Trick: Die Staatshaushalte verschulden sich zwar immer mehr, aber die zur Erhöhung der Verschuldung herausgegebenen Anleihen werden durch die Notenbanken aufgekauft, soweit sich kein anderer Käufer findet. Den anderen Teil der Staatsschulden übernehmen die Banken durch Kredite und besitzen so ein Druckmittel in Richtung künftige Bankenrettung. Innerhalb der EU hat Deutschland nun auch rechtlich den Lastenausgleich für marode EU-Länder übernommen, zuletzt in Höhe von 700 Mrd. Euro im Februar 2011. 5) Also baut sich eine neue Blase auf, die die Blase, deren Platzen die Finanzkrise auslöste, in der Größe bei weitem übersteigt. Strukturen der Ineffizienz Bisher erörterte Regulierungen erfolgten mit Rücksicht auf die Finanzwirtschaft gar nicht oder halbherzig. Das lehrt uns für die Zukunft, dass Analysen und Regulierungsmaßnahmen, die den Krisen funktionslogisch nachgeschaltet sind, ähnlich folgenlos bleiben. Für eine strafrechtliche Aufarbeitung fehlt die polizeiliche und juristische Infrastruktur. Für eine zivilrechtliche Aufarbeitung (Verjährung: ein bis drei Jahre) gilt dasselbe. Es gibt im Schnitt keine ernsthaften Erfolgsaussichten für Strafanzeigen und Schadensersatzprozesse, denn der „Schutz“ ist obrigkeitsstaatlich dominiert. Die Verantwortung zur Kontrolle liegt bei ineffizienten Aufsichtsbehörden. Bildlich gesprochen, muss die Verbrecherbande geplante Straftaten rechtzeitig und vollständig anmelden. Wenn nicht, sehen die Kerngesetze des Kapitalmarktrechts (Verkaufsprospektgesetz, WpHG, Börsenzulassungsverordnung) Bußgelder zwischen 50.000 und 500.000 Euro vor. Dagegen 38 P.T. MAGAZIN 3/2011

Wirtschaft belaufen sich allein die Über-Nacht- Geldmarktausleihungen der Banken bei der EZB auf 15-16 Mrd. Euro, also das 30-Tausendfache der genannten Höchstbuße. An der Terminbörse Eurex in Frankfurt wurden 2009 von 400 Marktteilnehmern Derivate für 334 Bio. Euro gehandelt. Die rechtlichen Grundlagen der Finanzkrise Die Überschrift klingt paradox, trifft aber den Kern. So wurde z. B. das Verbot für den riskanten Warenterminhandel in Deutschland erst durch die EU-Agrarreform 1992 aufgehoben. Seitdem erfasste die sog. Liberalisierung (= Beseitigung rechtlicher Schranken) der Kapitalmärkte den Handel mit Devisen über sog. Hebelprodukte (sog. Forex-Handel, tägliches Volumen weltweit 1,5 Bio. Dollar), den Handel mit Kreditverbriefungen und den Eigenhandel der Banken mit Finanzprodukten aller Art. Die Finanzkrise folgte aus der Vernetzung des entfesselten Systems: Solange gesetzlich geregelt ist, dass eine Grundschuld zur Absicherung des Bankdarlehens im Grundbuch eingetragen ist, handelt es sich um eine Angelegenheit zwischen Grundbesitzer und finanzierender Bank. Wird aus der Buchgrundschuld eine Briefgrundschuld und erlaubt man, mit dieser Verbriefung zu handeln, entsteht ein gänzlich anderer Rechtskreis: der Markt der Verbriefungen. Man erlaubt… Erlaubt man, diese Kredite zu versichern und die Versicherungspolice ebenfalls zu verbriefen, d. h. als marktgängiges Wertpapier zu gestalten, erweitert man den Verbriefungsmarkt. Erlaubt man, Wetten auf den Kurs der Grundschuldbriefe, der Versicherungspolicen auf die Grundschuldbriefe etc. als Wertpapier zu verkörpern, hat man einen Derivatemarkt. Eine neue Blase baut sich auf Tausendfache bewegen, also eine Milliarde. Mit einer Milliarde (für einen Hedgefonds keine Größe) bewegt man eine Billion. Mit diesen Instrumenten kann man Kurse von Aktien, Anleihen, Devisen, Rohstoffen beliebig manipulieren. Mit dem Grundgeschäft (Grundschuld für Kredit) hat das alles nichts mehr zu tun, und die abgeleiteten Märkte der Spieler sind für das Gelingen dieses Geschäfts auch nicht nötig, sie schaden ihm sogar. Denn wenn sich die Bank bei einem der Spiele verzockt, holt sie sich das verlorene Geld aus dem schiefgegangenen Geschäft bei den Kunden aus funktionierenden Geschäften wieder. Dann erhöht sie die Kreditzinsen, die Girozinsen, Bankgebühren etc. Aus Über den Autor einer Autofirma wie Porsche wird ein Hedgefonds (mehr Gewinn als Umsatz), und jedes Kurspotenzial oszilliert zwischen Explosion und Crash. Virtuelle Märkte (Foto: © Rike/PIXELIO) Oder am Beispiel des Warenterminmarktes: Solange der Bauer im Frühjahr nur jemanden sucht, der ihm zum Stichtag im Herbst die Ernte für einen fixen Preis abkauft, und es findet sich dafür ein Kaufmann, ist gegen dieses Warentermingeschäft nichts zu sagen. Wenn aber z. B. 97% der Teilnehmer an den Warenterminbörsen nur auf virtuelle Waren (Schweinebäuche, Rohöl, Weizen) und deren Preis spekulieren, hat dies mit einem sinnvollen Markt im Bereich der Rohstoffpreise der Real- Erlaubt man, die Wetten auf die Kurse so zu gestalten, dass man nur einen Dollar einzahlen muss, um auf 100 Dollar zu wetten, hat man ein Hebelprodukt. Betreibt man das Ganze auf Kredit, und eine Bank gewährt (z. B. sich selbst und ihresgleichen) 9 Dollar Kredit auf einen Dollar Eigenkapital, kann man mit einer Million Einsatz über Hebelprodukt und Kredit das Dr. Volker Gallandi (Jg. 1955) ist als Rechtsanwalt in Gorxheimertal (Hessen) tätig. Sein ursprüngliches Spezialgebiet ist das Wirtschaftsstrafrecht. Gallandi promovierte 1982 zum Thema „Staatsschutzdelikte und Pressefreiheit“ beim späteren Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts Prof. Winfried Hassemer. 1984 arbeitete er für die Kanzlei Bossi in München und wurde 1985 Mitglied der Außensozietät. 1988 folgte die Gründung einer eigenen Kanzlei. 3/2011 P.T. MAGAZIN 39

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