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PT-MAGAZIN 02 2020

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Offizielles Magazin der Oskar-Patzelt-Stiftung. Titelthema: Keine Angst vor Krisen. Nominierungsliste 2020 des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes". Motto: Meilensteine setzen.

Vom Wissen um das

Vom Wissen um das Nichtwissen PT-MAGAZIN 2/2020 Die Meteorologie im Spannungsfeld zwischen Legenden und Naturwissenschaft Ein Essay von Jörg Kachelmann Gesellschaft 6 Mist, Quecksilberkügelchen auf dem 1970er-Jahre-Perserteppich. Was tun? Ich wusste, dass die Entsorgung ins Klo wohl nicht helfen würde bei den schweren Dingern und womöglich den ganzen Rhein zum Umkippen brächte, falls die Kläranlage das nicht packt. Also in den Staubsauger, da sieht es auch niemand, und ich war gerade allein zu Hause. Der Staubsauger aus den 1960ern hatte vorne ein Metallrohr und veränderte bemerkenswert sein Aussehen. Irgendetwas Metallisches außenrum blätterte ab und komplizierte das Unterfangen, die Kügelchen aufzusaugen. Am Ende war alles im Staubsaugerbeutel, das Gerät sah ganz anders aus und mir wurde als 13-Jährigen nochmal bewusst, dass ich mit meinen Barometern und Thermometern vorsichtiger sein musste. Im 17. Jahrhundert entdeckte der italienische Physiker Evangelista Torricelli, dass sich Quecksilber je nach Tempera- tur ausdehnt und dass man es auch für die Herstellung von Barometern verwenden kann. Rund 370 Jahre später hat sich am Prinzip nichts geändert. Meine Quecksilber- Barometer und die ebensolchen Thermometer in der Wetterhütte funktionieren nach dem alten Prinzip von damals. Das ist sehr wichtig, weil wir heute bei der Beurteilung des Klimawandels darauf angewiesen sind, dass die Werte von früher mit den heutigen vergleichbar sind – was von den Instrumenten her der Fall ist, zugleich aber die Frage im Raum steht, wie das mit dem Strahlungsschutz gelöst wird, die Thermometer dürfen ja nicht in der Sonne hängen. Davon später mehr. Bei der Luftfeuchtigkeit war es einfacher. Schon früh hatten Menschen (und das wahrscheinlich schon immer) entdeckt, dass sich Haare je nach Luft- © www.piqsels.com-id-fauiy feuchtigkeit verändern. Das begründete den Siegeszug des Haarhygrometers, das in den modernen Zeiten nur langsam durch elektronische Messverfahren abgelöst wird. Entscheidend war dabei herauszufinden, welche Haare sich bei Feuchtigkeitsänderung am linearsten verhalten, damit man keine seltsamen logarithmischen Skalen applizieren muss. Das Ergebnis war: Menschenhaare funktionieren besser als Tierhaare, Frauenhaare besser als Männerhaare und blonde Haare besser als braune – was vielen Friseuren weltweit einen kleinen Nebenerwerb ermöglichte, wenn sich

londe Frauen plötzlich zu einem Kurzhaarschnitt entschieden. Wind und Sonne Die Messung der Windgeschwindigkeit sowie der Sonnenscheindauer haben sich im Laufe der Zeit am stärksten entwickelt. Zu Anfang wurden die Windgeschwindigkeiten einfach aufgrund der Auswirkungen auf die Natur („Blätter säuseln“) geschätzt. Später wurden Metallplättchen drehbar auf eine Achse gebracht und über eine Windfahne so in den Wind gedreht, dass die Platte je nach Windstärke seitlich ausgelenkt wurde und über eine grobe Skala eine erste Fernablesung eines Geräts ermöglichte („Wildsche Windfahne“). Danach kamen die Schalenkreuz-Anemometer, die sich bei mehr Wind immer schneller drehen und Windgeschwindigkeit für die meteorologische Praxis fernablesbar machten – der Dynamo erzeugte Strom, und auf Bergwetterwarten konnte man in der warmen Stube ablesen, wie sehr es draußen kachelte. Damit kommen wir aber zum größten Problem der Schalenkreuz-Windmesser: Man kann zwar den Dynamoschaft heizen, aber die dünnen Drehlöffel laden zur Ablagerung von Schnee und Eis ein. Die alten Windmesser auf dem Brocken, Fichtel- und Feldberg hatten entsprechend oft Dellen, wenn sie der Beobachter mit der Spitzhacke oder Schaufel beim Freimachen des Anemometers nicht optimal erwischt hatte. Hier müssen wir auch eine Ausnahme machen bezüglich der Konsistenz alter Klimareihen: Im Winter und insbesondere auf den Bergen waren früher die durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten zu gering, weil durch Schnee und Eis langsame(re) Drehphasen und Phasen des Stillstandes nicht zu ver- meiden waren. Heute werden viele Windmesser nicht mehr als solche erkannt, weil sie wie eine Gartenkralle aussehen. Ultraschall misst die Bewegung der Luft, und weil sich am Windmesser selbst nichts mehr bewegt, kann man die Dinger auch beliebig hochheizen und sie so eisfrei halten – bei Sturm und minus 20 Grad Celsius mit ein paar Hundert Watt. Bei der Sonnenscheindauer ist die alte Methode, in der eine Glaskugel das Sonnenlicht bündelt und in einen Pappstreifen brennt, noch nicht überall vollständig abgelöst worden. Heute nimmt man Geräte, die den Schatten eines Bügels im Gerät auswerten: Ist einer da, scheint die Sonne – ohne Schatten, keine Sonne. Die Glaskugel-Methode hat den Nachteil, dass sie durch Menschen ausgewertet wird – so kam beispielsweise Usedom zur falschen Annahme, die Insel sei der sonnigste Fleck Deutschlands. Das ist völliger Unsinn und beruht darauf, dass vor Jahrzehnten ein rühriger und lokalpatriotischer Mitarbeiter des Meteorologischen Dienstes der DDR auch den fernsten Hauch einer Verfärbung des Pappstreifens vorschriftswidrig als real existierende Sonnenscheindauer gewertet hat. Das hat er zwar nur sehr kurz gemacht, aber so kam ein Jahr zustande, in dem es in Deutschland angeblich nirgendwo sonniger war als auf Usedom. Dieses Jahr der Falschauswertung wurde dann schlicht auf ein „gilt immer“ hochgerechnet, und Usedom hat bis heute etwas, was sich auf Prospekte drucken lässt. Immerhin ist Usedom realistischer in seinem Anspruch als viele andere Orte im Land, die von sich behaupten, dass sie die sonnigsten weit und breit seien. Dutzende Destinationen nehmen das für sich ohne wissenschaftliche Basis in Anspruch („se non è vero, è ben trovato“), fast alle zu Unrecht. Wenn das jemand für sich in Anspruch nehmen darf, sind es die Insel Hiddensee und der Norden von Rügen, beides in der Ostsee gelegen. Die Erklärung ist einfach: Erstens muss der sonnigste Ort eher östlich liegen, da nicht alle Tiefs aus Westen bis dorthin durchkommen, zweitens muss der fragliche Ort sehr maritim, also im besten Fall eine Insel sein. Im Mai und Juni, wenn das Festland schon warm ist und Quellwolken über sich hat, ist das Ostseewasser noch kalt und unterdrückt so die Cumulusbildung – und genau dann sind auch die Tage besonders lang, sodass man mit den 16-Sonnenstunden-Tagen im Juni die verlorenen Binnenland-Seelen besonders nachhaltig abhängen kann. Regen und Schnee Kommen wir zum Niederschlag, von dem alle denken, dass es doch ganz einfach sei – Eimer rausstellen, Durchmesser oben wie Durchmesser unten (also zylindrisch), fertig. Dann einfach die Höhe der Wasseroberfläche vom Boden messen, und schon hat man die Regenmenge in Millimetern oder Litern pro Quadratmeter Boden. Aber: Es ist nicht so einfach, wie Sie denken. Zum einen gibt es das Problem, dass es bei uns auch schneit. Früher, als nur von Hand gemessen wurde, war es so: Jeder Wetterbeobachter hatte zwei Niederschlagsmesser. Hat es geschneit, wurde der eine reingenommen, ˘ um 7 PT-MAGAZIN 2/2020 Gesellschaft © jbundgaa from Pixabay

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