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PT-Magazin 02 2018

Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung

Die nächste Pleite

Die nächste Pleite Gesellschaft PT-MAGAZIN 2/2018 6 © YakobchukOlena - stock.adobe.com Im Januar 2007 veröffentlichte der Ärztenachrichtendienst (änd AG, Hamburg) ein Interview von Bernd Gutzek mit Carlos A. Gebauer, Fachanwalt für Medizinrecht, liberaler Publizist und Moderator. 11 Jahre später hat sich an der Brisanz der Themen nichts geändert. Mit Genehmigung von änd-Chefredakteur Jan Scholz veröffentlicht PT das Interview nochmals. wird die letzte sein änd: Herr Gebauer, vor rund drei Jahren haben Sie geschrieben, man könne in Deutschland nicht mehr „Gesundheit“ sagen, ohne gleich auch „Reform“ zu denken. Fühlen Sie sich bestätigt? Gebauer: Absolut. Alle reden ununterbrochen von einer Gesundheitsreform. Aber je mehr geredet wird, desto ferner rückt die Lösung. änd: Was läuft denn falsch? Gebauer: Unsere Politiker streiten über Detailfragen und verheddern sich dort. Die wirklich wesentliche Frage wird nicht gestellt. änd: Wie heißt diese Frage? Gebauer: Sie lautet: Steht unser gesamtes System der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland überhaupt auf einem vernünftigen rechtspolitischen Fundament? Auf diese Frage gibt es nämlich nur eine richtige Antwort. Und die heißt: Nein. änd: Was ist denn Ihrer Meinung nach fundamental falsch? Gebauer: Wir lesen täglich zwei Begriffe in der Zeitung: Solidarprinzip und Sachleistungsprinzip. Die meisten Menschen wissen gar nicht, was diese Prinzipien eigentlich besagen, Politiker eingeschlossen. Und dennoch ist man sich bis heute noch immer einig, dass diese Prinzipien nicht angetastet werden dürfen.

PT-MAGAZIN 2/2018 änd: Aber sind diese Prinzipien denn nicht wertvoll? Es geht doch bei beiden darum, dass Reiche und Gesunde für Arme und Kranke einstehen. Gebauer: Ja. Dieser Anschein wird erweckt. Aber im Ergebnis wird genau das Gegenteil erreicht. änd: Das müssen Sie erklären. Gebauer: Das Solidarprinzip besagt, dass jeder nach dem Maßstab seines Arbeitseinkommens Beiträge an seine Krankenkasse einzahlt. Wer gut verdient, bezahlt viel, wer schlechter verdient, weniger. Trotzdem haben alle einen Anspruch auf dieselbe medizinische Hilfe. änd: Was, meinen Sie, ist daran falsch? Gebauer: Falsch ist, dass hierbei jeder medizinische Maßstab fehlt. Wer sagt, dass alle gleich behandelt werden sollen, der muss auch sagen, was denn überhaupt genau gleich sein soll. Im Gesetz steht, jeder bekommt nur das gerade Erforderliche und Notwendige. Im Ergebnis legen also nicht Ärzte, sondern Politiker die Art und den Umfang der Behandlung fest. Damit beherrscht plötzlich die Politik die Behandlung, nicht mehr Arzt und Patient. Ich als Patient finde das beängstigend. änd: Aber die Politiker schützen doch auf diese Weise die Armen und sozial Schwachen? Gebauer: Nein, tun sie nicht. Im Gegenteil. Die Finanzierung des Systems aus einem großen Topf, in den alle je nach Arbeitseinkommen einzahlen, führt zu den aberwitzigsten Konsequenzen. Wenn sich zum Beispiel der bestens verdienende Geschäftsführer einer Aldi-Filiale beim Drachenfliegen den Hals bricht, dann bezahlt die versicherte Aushilfskassiererin mit ihren Beiträgen seine Krankenhausbehandlung, sein Krankengeld, seine Haushaltshilfe und seine Heil- und Hilfsmittel anteilig mit, ohne dass sie selbst mit ihrem Einkommen auch nur einmal in die Nähe eines Drachens kommen könnte! Finden Sie das „gerecht“? Ich nicht. änd: Und was stört Sie am Sachleistungsprinzip? Gebauer: Im wesentlichen zwei Dinge: Zum einen funktioniert es nicht, zum anderen ist es verlogen. änd: Warum funktioniert es denn nicht? Gebauer: Arzt und Patient sprechen – abgesehen von der eher symbolischen Praxisgebühr – nie über Geld. Beide wissen daher nicht, welchen Preis die Leistungen des Arztes haben. Wo und wann sonst im Leben sagt man aber: Geld spielt keine Rolle? änd: Warum ist das schlecht? Gerade das schützt doch ganz besonders die ärmeren Patienten. Gebauer: Nein, tut es nicht. Die Versichertenkarte ist nämlich nichts anderes als ein Bezugsschein. Sie wirkt wie eine Lebensmittelkarte im Krieg. Mit solchen Warengutscheinen kann man in Krisengebieten die Bevölkerung kurzfristig vor dem Hungertod bewahren. Auf Dauer führen solche Systeme aber für alle in den Ruin. Denn dort hat zwar nicht der Reichste die beste Position aber wer die Regeln kennt und beherrscht, der nimmt ein derartiges System mit Freude aus. Zum Schaden wieder der Schwächsten, denen die nötige Raffinesse zur pfiffigen Manipulation fehlt. änd: Gegen Missbräuche kann man aber vorsorgen. Gebauer: Nein, auch das kann man im Ergebnis nicht. Es wird zwar immer wieder versucht. Und wesentliche Teile unseres heutigen Gesundheitssystems bestehen aus nichts anderem, als aus geradezu verzweifelter „Missbrauchsbekämpfung“, die in Wahrheit nur das Erzwingen verwaltungskonformen Verhaltens ist. Aber je mehr Korruptionsbekämpfungsstellen man schafft, je mehr Leistungs- und Finanzkontrollen eingerichtet werden und je mehr Verwaltungsbeamte nichts anderes mehr tun, als nur andere zu überprüfen das „Geldspielt-keine-Rolle-System“ wird immer teurer und teurer. Bis es kollabiert. Ökonomisch handelt es sich hierbei übrigens um exakt denselben Grund, aus dem in der Geschichte alle Planwirtschaften wie die der DDR zusammengebrochen sind. änd: Ist das der Grund, warum sie das Sachleistungsprinzip auch für verlogen halten? Gebauer: Genau. Es ist eine Beschäftigungsmaßnahme für Verwaltungsbeamte. Und die hat unfassbare Ausmaße. Alleine für die interne Verwaltung der Krankenkassen wurde 2005 sechsmal ˘ 7 Gesellschaft

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