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PT-Magazin 02 2018

Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung

TÖTET GOMRINGER!

TÖTET GOMRINGER! PT-MAGAZIN 2/2018 Gesellschaft 16 Kennen Sie Eugen Gomringer? Wahrscheinlich weniger, aber er ist ein bedeutender Künstler, der Schweizerische Bolivianer. Der Dichter erzählte in den Fünfzigern von einer Szene auf den Ramblas in Barcelona und benötigte dazu 20 Buchstaben. 2011 wurde es als Wandbeschriftung an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin angebracht. Wie cool! Irgendwann nun hat ein kluger Mensch den Text aus dem Spanischen ins Deutsche übersetzt. Das lautet dann so: Alleen Alleen und Blumen Blumen Blumen und Frauen Alleen Alleen und Frauen Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer. © Wikimedia, Rudolph Buch Ein Kunstwerk in Berlin wird übertüncht und flieht nach Rehau Ein Frauen-Bewunderer? Das darf doch gleich gar nicht sein! Frauen bewundern geht doch überhaupt nicht! Bewundern ist die Vorstufe des Begrapschens und Begrapschen die Vorstufe der Vergewaltigung. So sahen es die feministischen Kämpferinnen im Studentenparlament und im Asta der Uni. Sie setzten durch, dass das Kunstwerk vernichtet und geschlechtsneutral ersetzt werden müsse. Das Kunstmuseum in Rehau, der oberfränkischen Heimat des 93 Jahre alten Dichters, hat entschieden, das Werk dort anzubringen. Nun wird die Wand in Berlin erst mal weiß übermalt. Das trotz des Protests von Monika Grütters, Kulturstaatsministerin. Ihr Kommentar: „Ein erschreckender Akt von Kulturbarbarei“. Das Vorgehen der modernen Suffragetten erinnert tatsächlich an den Umgang mit Kunst im Dritten Reich. Gedicht-Übermalen statt Bücherverbrennung. Und nachgefragt: „Wie heißt denn das Fach in dem man Dummheit & Intoleranz studieren kann? Ein neues Gedicht wird noch gesucht. Unser Vorschlag: „Watte hatte Du denn da?“ von Stefan Raab. Nein, geht auch nicht, denn damit könnte ja ein Busen gemeint sein. ó Über den Autor Journalist und Kolumnist Günter Morsbach ist Herausgeber des „Reitenden Boten“, der kürzesten Wochenzeitung der Welt. https://reitender-bote.de Hintergrund: 1908 gründete die Frauenrechtlerin Alice Salomon die heutige Hochschule für Soziale Arbeit, Gesundheit und Erziehung in Berlin. 2011 erhielt Eugen Gomringer den Alice-Salomon-Poetik- Preis. Die damalige Hochschulleitung entschied, die Fassade mit seinem spanischsprachigen Gedicht „Avenidas“, also „Alleen“, zu verzieren. Sie zahlte dafür eine Lizenzgebühr. Gomringer hatte das Gedicht 1951 im Alter von 26 Jahren geschrieben. Er gilt als Begründer der sog. „Konkreten Poesie“, war 1966 bis 1968 Mitglied des documenta-Rates zur 4. documenta in Kassel, textete 30 Jahre lang die Werbung der Warenhauskette ABM (Au Bon Marché) und ist seit 1971 Mitglied der Berliner Akademie der Künste. 2016 kritisierte die Studierendenvertretung Asta in einem offenen Brief, dass das Gedicht „eine klassische patriarchale Kunsttradition“ reproduziere und unangenehm daran erinnere, dass Frauen gerade am U-Bahnhof Hellersdorf und dem Alice-Salomon-Platz täglich sexueller Belästigung ausgesetzt seien. Der inzwischen 93jährige Gomringer ist „sehr enttäuscht“ und erklärte im Deutschlandfunk Kultur: „Mir kommt es vor, wie der Vorgang einer Säuberung. Da wird etwas weggesäubert durch eine andere Ideologie, die das verdrängen soll. Und darüber muss man reden, ob das gerechtfertigt ist.“ Preisträger Großer Preis des Mittelstandes Tel. 0 63 32 / 91 39 00 Saarlandstraße 31, 66482 Zweibrücken AZ_Mittelstand_186x94_DEF.indd 1 12.10.17 12:05

Marketing – ohne Kekse Wie macht man einen Schreibkurs „anfassbar“? Bonbons und Kekse – das sind bewährte Lockmittel an Messeständen der unterschiedlichsten Branchen. Greift der Messebesucher nach der Süßigkeit, packt ihn der Aussteller am Ärmel: „Schauen Sie, das ist unser Produkt xy…” Der Süßschnabel fühlt sich verpflichtet, umgehend auf dem Massagesessel Melanie Platz zu nehmen oder vor dem Laptop am Stehtisch Interesse zu heucheln für Super Storage, die ultimative Software für Lagerhaltung. Als ich meinen ersten eigenen Messestand für die Leipziger Buchmesse plante, verging ich fast bei dem Gedanken, Lutschwerk und Knabberzeug reichen zu müssen, nur damit Leute meine Bücher anschauen. Die Inhalte sollten doch wohl verlockend genug sein. Schon – wäre da nicht noch mein anderes, mindestens ebenso wichtiges Angebot gewesen. Dafür gibt es nichts zu blättern oder in die Hand zu nehmen. Das muss man einfach wollen, sich erklären lassen, da muss man mitmachen. Kurz: Es handelte sich um Schreibkurse. Wie dafür die Aufmerksamkeit der Messebesucher gewinnen? Bonbons, Kekse? Etwas, das gut duftet? Wie duften Schreibkurse? Plötzlich hatte ich‘s: Ein attraktives Geräusch müsste am Messestand © okalinichenko - stock.adobe.com Über die Autorin Martina Rellin, Ex-Chefredakteurin der Kultur-Zeitschrift „Das Magazin“ und erfolgreiche Sachbuchautorin („Klar bin ich eine Ost-Frau!”), lässt sich vor und nach ihren Schnupper-Schreibkursen im „Leipzig-liest-Programm” vom 15. bis 18. März gern mit Keksen füttern. Sie betreibt die Rellin Schreibwerkstatt bei Berlin und in Oybin. www.martinarellin.de erklingen. Und was klingt süßer und verheißungsvoller als das Klappern einer mechanischen Schreibmaschine? Ein solches Gerät würde mit nach Leipzig fahren, am Stand thronen, auf einem Tischchen mit Hocker davor. Die Gäste bekommen beim Anblick der Maschine glasige Augen: „Schau mal, auf so einer hab ich früher auch geschrieben.” Die jüngeren entsprechend: „Cool. Hab ich in einem alten Film gesehen.” Schon klappern sie mit den Tasten – und dieses Herz und Seele wärmende Geräusch zieht Pulk um Pulk an meinen immer dichter umlagerten Messestand. Gesagt getan. Sagte ich schon, dass Bonbons und Kekse sich über Jahre bewährt haben? Kurz: Die Leute starrten auf die Schreibmaschine, lächelten, legten die Köpfe in den Nacken und lasen den Schriftzug auf der Stand-Blende: Rellin Schreibwerkstatt. Dann sahen sie mich an und ich las ihre Gedanken: Oh, die sieht gar nicht aus wie eine, die mechanische Schreibmaschinen repariert. Kunde pfeifend ab… Ob ich wohl im Folgejahr genügend Bonbons und Kekse parat hatte? Mhm, ich bin recht prinzipientreu. Heißt: Wenn man Schreibkurse nicht anfassen kann, muss ich sie anfassbar machen. Wie das? Oft hatte ich bei der Leipziger Buchmesse auf einer der vielen Bühnen mit einem frischen Buch zur Kurzlesung gebeten: 25 Minuten vor 80 Leuten für den kleinen Lesehunger zwischendurch. Ob ich wohl mein Publikum einfach schreiben lassen könnte? Ich bekam Bühnenzeit von der Messe – es klappte grandios. Nun turne ich auf der Leipziger Buchmesse regelmäßig Schnupper-Kurse zum Mitschreiben vor: einfach loslegen, schreiben, vorlesen – ich kommentiere. Das macht den Gästen Spaß, wir kommen ins Gespräch. Mein Stand, die Bühnenauftritte – Sie können sich vorstellen, dass da noch nicht mal Zeit bleibt, die Keksangebote an den Ständen der unmittelbaren Umgebung zu erkunden. Auch dieses Problem kann man lösen: 2018 verzichte ich auf meinen Stand. Tue mich für meine Mini-Schreibkurse mit Partnern zusammen – so bleibt jede Menge Zeit, mal wieder selbst ausgiebig im Büchermeer zu schwelgen und die sonstigen Angebote zu erkunden. Samt Keksen und Bonbons der anderen. ó 17 PT-MAGAZIN 2/2018 Gesellschaft Premier-Finalist 2017

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