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P.T. MAGAZIN 02/2013

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Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung

Glück auf Rezept Wie

Glück auf Rezept Wie Goethes Mutter fröhlich blieb, obwohl vier ihrer sechs Kinder starben Gesellschaft 6 P.T. MAGAZIN 2/2013 Man nehme zwölf Monate, putze sie ganz sauber von Bitterkeit, Geiz, Pedanterie und Angst und zerlege jeden Monat in dreißig bzw. einunddreißig Teile, so dass der Vorrat genau für ein Jahr reicht. Es wird jeder Tag einzeln (Foto: Coverbild/DARVIN TAYLOR) Was für eine Frau! Warmherzig und geistreich war sie, witzig und selbstbewusst. Und gesegnet mit der Fähigkeit, dem Leben das Beste abgewinnen zu können. Noch auf dem Totenbett kümmerte sich „Frau Aja“, wie der Spitzname Catharina Elisabeth Goethes lautete, um jedes Detail des eigenen Leichenschmauses und soll auch dabei stets freundlich und liebevoll geblieben sein. Selbst das Dienstmädchen, das der 77-Jährigen am 13. September 1808, dem Tag, an dem sie sterben sollte, die Einladung zu einer Gesellschaft überbrachte, musste nicht ohne Antwort gehen: „Richten Sie nur aus, die Rätin kann nicht kommen, sie muss alleweil sterben!“. Des Mütterchens Frohnatur zum Vorbild Wie damals üblich, wurde sie 17-jährig verheiratet. Der 21 Jahre ältere „wirkliche kaiserliche Rath“ Johann Caspar Goethe war hochgebildet, aber äußerst eigenwillig. Freunde hat er beruflich daher wenig. Seine Energie steckte er vor allem in die Erziehung seiner Kinder, die nach heutigen Maßstäben hochbegabt waren. Aber nur das erste, der spätere Dichterfürst Johann Wolfgang Goethe, und dessen 1750 geborene Schwester Cornelia erreichten das Erwachsenenalter. Keines der weiteren vier Kinder wurde groß. Goethe liebte seine Mutter: „Vom Vater hab ich die Statur, des Lebens ernstes Führen, vom Mütterchen die Frohnatur und Lust zu fabulieren.“ Heute würde man sie eine begnadete Netzwerkerin nennen. Wie intensiv sie Freundschaften und Kontakte pflegte, zeigen die über 400 Briefe, die erhalten blieben. Einer enthält ein „Rezept fürs Neue Jahr“, das auch als Glücksrezept gelten kann: Man nehme zwölf Monate | putze sie ganz sauber von Bitterkeit, Geiz, Pedanterie und Angst | und zerlege jeden Monat in dreißig bzw. einunddreißig Teile | so dass der Vorrat genau für ein Jahr reicht. Es wird jeder Tag einzeln angerichtet | aus einem Teil Arbeit, aus zwei Teilen Frohsinn und Humor | Man füge drei gehäufte Esslöffel Optimismus hinzu | einen Teelöffel Toleranz, ein Körnchen Ironie und eine Prise Takt. Dann wird die Masse mit reichlich Liebe übergossen | Das fertige Gericht schmücke man dann mit Sträußchen kleiner Aufmerksamkeiten | und serviere es täglich mit Heiterkeit. Was wirklich wichtig ist, das wussten die Menschen offenbar schon vor 200 Jahren. Man sollte sich öfter daran erinnern! Über 44.000 Glücks-Bücher am Markt Wir dürfen die einfachen Dinge des Lebens nicht unnötig komplizieren, indem wir sie verwissenschaftlichen und vertechnisieren. Christoph Martin Wieland warnte 1768: „Es ist als ob die närrischen Menschen den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen könnten; sie suchen, was ihnen vor der Nase liegt und was sie bloß deswegen nicht finden, weil sie sich in einer Art von Schneckenlinie immer weiter davon entfernen.“ Offenbar hilft uns heutigen Menschen die Erfindung des Buchdrucks und des Internets bei den Lebensfragen umso seltener, je angestrengter wir nach Antworten suchen. Sonst könnte der Versandhändler Amazon nicht 44.858 Titel zum Suchwort „Glück“ anbieten. Google findet sogar 102 Millionen Mal das Wort „Glück“. Wer soll das alles lesen und verarbeiten? Dass zu viele Einzelheiten den Blick auf das Ganze verstellen können, lässt sich in jeder politischen Talkshow beobachten. Man tut so, als ob man dem Zuschauer bei der Lösung wichtiger Fragen hilft, doch am Ende gilt das abgewandelte Brecht-Zitat, womit Marcel Reich-Ranicki sein Literarisches Quartett stets beendete: „Und so sehen wir betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Treffend schrieb Bertolt Brecht in der Dreigroschenoper: „Ja, renn nur nach dem Glück, doch renne nicht zu sehr! Denn alle rennen nach dem Glück, das Glück rennt hinterher.“ Gegen Bitterkeit, Geiz und Angst Schauen wir uns doch mal die Zutaten des Glücksrezepts von Mutter Aja der Reihe nach an: „Man nehme zwölf Monate, putze sie ganz sauber von Bitterkeit, Geiz, Pedanterie und Angst“. Upps, schon das ist nicht ganz einfach in einer Welt, in der vor allem „bad news“ „good news“ sind. Stress, Angst, Klimakatastrophe, Burnout, Demographie-Falle, Rentenkollaps, Weltfinanzkrise, Abzocker, Mörder, Gewalt, Sexismus, Frauenfeindlichkeit, Terrorismus etc. Die Liste der Negativ- Stichworte, mit denen täglich Nachrichten, Kommentare, Umfragen und Analysen angereichert werden, ist lang. Hält man eine Liste mit positiven Stichworten, mit Worten der Ermutigung, der Erbauung, der Besinnung, des Optimismus dagegen scheint es ungleich schwerer zu sein, positive Themen aus der täglichen Nachrichtenflut zu filtern. „Es wird jeder Tag einzeln angerichtet, aus einem Teil Arbeit, aus zwei Teilen Frohsinn und Humor.“ Jedem Tag ein Teil Arbeit? Die alte Rätin meinte offenbar ein Drittel des Tages – acht Stunden. Anders wird’s nichts. Das war ihre Lebenserfahrung. Das Leben will „gemeistert“ sein. Wer seinen Tag nicht aufmerksam pflegt wie ein Gärtner den Garten, dem wachsen keine Blumen und Kräuter, sondern nur Brennnesseln und Wildkräuter. Und ob die täglichen Fernseh-Comedy-Formate Frohsinn und Humor fördern, darüber darf man auch verschiedener Meinung sein. Taktlosigkeit ist „in“ „Man füge drei gehäufte Esslöffel Optimismus hinzu, einen Teelöffel Toleranz, ein Körnchen Ironie und eine Prise Takt.“ Hier ist er wieder, der Optimismus. Frau Aja empfiehlt ihn täglich. Er ist so wichtig wie die tägliche Ration Vitamin C. Toleranz meint nicht nur das Gegenteil von Intoleranz, sondern eine akzeptierende Haltung gegenüber Dritten. An Ironie mangelt es uns gewöhnlich nicht. Aber an Takt. Das ist die Fähigkeit, anderen jede Beschämung zu ersparen. Damit lässt sich im Fernsehen keine 2/2013 P.T. MAGAZIN 7

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