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P.T. MAGAZIN 02/2011

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Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung

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Wirtschaft Wie man Altkunden NICHT wiederbekommt „Skrupelloses Geschäftsgebaren“ von Kirchen und Finanzämtern: Wer seinen Austritt nicht beweisen kann, muss Kirchensteuer nachzahlen – ein Modell zur Altkunden-Wiedergewinnung: Sie müssen beweisen, dass sie nicht bestellt haben! Fresko von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle Kann man die Existenz Gottes beweisen? Wohl kaum. „Gott ist kein Theorem. Es geht nicht darum, ihn zu beweisen oder abzuleiten, sondern darum, an ihn zu glauben oder nicht“, schreibt André Comte-Sponville in seinem Opus „Warum glaubt ein Atheist?“ Für Theologen ist das nur schwer verdaulich. In Disputationen mit den Apologeten des Glaubenszirkus kommt an irgendeiner Stelle immer wieder das rabulistische Argument, ob man denn die Nichtexistenz Gottes beweisen könne? Das funktioniert natürlich nicht. Also ist die Unmöglichkeit für den Beweis der Nichtexistenz Gottes der Beweis für die Existenz Gottes. So einfach ist das. Wissenschaftstheoretisch ist diese Argumentation natürlich der Gipfel des Schwachsinns. Wie soll man beweisen, dass etwas nicht existiert? Man könnte mit diesem theologischen Totschlag-Argument auch beweisen, dass es den Weihnachtsmann, Feen, Engel und Werwölfe gibt. Finanzämter als Inkassostelle (Foto: Wikimedia Commons/Public Domain/ The Yorck Project) Die theologische Beweisführung lässt sich auch für den fiskalischen Ablasshandel der Kirchen äußerst praktisch einsetzen. Wenn man seinen Kirchenaustritt nicht beweisen kann, ist das ein Beleg für die Kirchenmitgliedschaft. Wenn dann noch die Finanzämter als Inkassostelle für das Eintreiben der Kirchensteuer fungieren, können die Würdenträger der Großkirchen den Trend zur Säkularisierung etwas gelassener zur Kenntnis nehmen. So berichtet die FAZ von einem steuerpolitischen Skandal, bei dem ich als Atheist nicht zur Tagesordnung übergehen kann. „Wer aus der Kirche austritt, sollte die Bescheinigung darüber sein Leben lang aufbewahren. Sonst droht auch Menschen, die seit Jahrzehnten im Berufsleben stehen, plötzlich eine Nachforderung des Finanzamts über Kirchensteuern für die vergangenen fünf Jahre. Vor allem in Berlin und Brandenburg stellt sich dieses Problem regelmäßig, wie Volker Jastrzembski von der Evangelischen Landeskirche der FAZ bestätigte: Er beziffert die Zahl dieser Fälle auf rund 4 000 jährlich. Das Problem: Die Beweislast für den Austritt liegt bei demjenigen, der einst getauft worden ist“, so die FAZ. Skrupelloses Geschäftsgebaren Der Berliner Fachanwalt Karsten Sommer werfe der von beiden Kirchen getragenen Kirchensteuerstelle in der Bundeshauptstadt vor, sie suche so gezielt nach Einnahmen. Auffällig sei, dass es fast immer nur Konfessionslose treffe, die einst evangelisch getauft worden seien. Seit das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg diese Rechtslage bestätigt habe, rate er seinen Mandanten meist von Klagen ab. Sommer spricht von einem „skrupellosen Geschäftsgebaren“. Der „Tagesspiegel“ schilderte schon im Jahr 2006 Fälle, in denen Arbeitnehmer und Freiberufler aus den alten Bundesländern noch Jahre nach ihrem Umzug nach Berlin aufgefordert worden seien, 32 P.T. MAGAZIN 1/2011

Wirtschaft ihren Kirchenaustritt zu beweisen – bis zu 40 Jahre danach. „In einigen Bundesländern ist die zuständige Stelle das örtliche Amtsgericht, das die Akten aber nur zehn Jahre lang aufbewahren muss; in anderen ist es das jeweilige Standesamt“, schreibt die FAZ. Die Beweisführung muss man erbringen, auch wenn seit Jahren auf der Lohnsteuerkarte der Vermerk steht: „Kein Kirchensteuerabzug“. Dies schaffe keinen „Vertrauenstatbestand“, befand das Berliner Oberverwaltungsgericht (Az.: OVG 9 B 25.05). Notfalls bleibe nur ein Ausweg: schnell noch einmal aus der Kirche austreten – und Steuern nachzahlen. Eine Unverschämtheit. Wenn die Kirchen an die Kohle der Kurz und knapp Ungläubigen ranwollen, müssten sie den Beweis antreten, dass man nicht ausgetreten sei. Recht auf Unglauben Der Kirchensteuersatz beträgt derzeit in Bayern und Baden-Württemberg 8%, in den anderen Bundesländern sind es 9% der Lohn- und Einkommensteuer. 2009 spülte die Kirchensteuer rund 4,9 Mrd. Euro in die Kasse der Kirchen. Pro Kopf kommt man durchschnittlich auf einen Betrag von 600 Euro jährlich. Die Steuernachzahlung kann also zu empfindlichen Belastungen führen. Es könnte sogar den einen oder anderen finanziell in den Ruin treiben. Als guten Vorsatz für 2011 werde ich jetzt etwas machen, was ich schon seit ■ Man geht zum Amt (Familiengericht o. ä.), bezahlt eine Gebühr und leistet dem Staat eine Unterschrift, dass man austritt. ■ Der Staat registriert das, verlangt eine Bearbeitungsgebühr. ■ Man schickt dem Finanzamt eine Kopie des Dokuments, das Amt trägt das in die Steuerkarte ein. ■ Nun sagt das Oberverwaltungsgericht, dass das nicht zählt! ■ Das Beste: Nach 10 Jahren werden die Dokumente vernichtet, und es soll kein verlässlicher Vermerk existieren? Da stellt sich die Frage: Ist der Staat oder das Amt nicht vertrauenswürdig? ■ Die Kirchen scheinen darauf zu spekulieren, dass der Bürger sich auf den Staat verlässt, was man hier eindeutig wohl nicht kann, und machen daraus ein lohnendes Geschäftsmodell mit der Schützenhilfe des Staates. (Foto: Wikipedia/GFDL/CC-3.0/Daniel Paul Schreber) Reskript mit vorgedrucktem Ablassantrag und päpstlichem Siegel, 1925 Jahren im Kopf habe. Ich werde dem Förderkreis der Giordano Bruno Stiftung beitreten, um die Sauereien der Kirchen zu bekämpfen. Es gibt ja nicht nur ein Recht auf Glauben, es gibt auch ein Recht auf Unglauben! Auch Atheisten sollten als gesellschaftlich relevante Gruppe die gleichen Rechte eingeräumt bekommen wie die Amtskirchen. Also auch die Vertretung in Gremien des Staates, Sendezeit beim „Wort zum Sonntag“ oder Mitgliedschaft in Fernsehräten. ■ Gunnar Sohn 1/2011 P.T. MAGAZIN 33

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