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PT-Magazin 01 2020

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Offizielles Magazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung.

PT-MAGAZIN 1/2020 Himmelswege Wirtschaft 28 Eine Pallisadenwand übermannshoher Baumstämme inmitten einer sanft gewellten Ackerlandlandschaft. Geht der Wanderer näher heran, zeigt sich die Ringform des Bauwerks. Die Kreisgrabenanlage nahe des Dorfes Goseck, hoch oben über dem Tal der Saale in Sachsen-Anhalt. 1675 Eichenpfähle stecken im Boden. Ein zwei Meter breiter und 1,50 Meter tiefer Graben mit 71 Metern Durchmesser umschließt das Gebilde. Der Ring mißt 56 Meter im Durchmesser, durch ein Tor an seiner Nordseite gelangt der Besucher in den Innenraum, der durch einen kleineren Kreis mit 49 Meter Durchmesser gebildet wird. Nach Ansicht von Archäoastronomen handelt es sich hier um das früheste Sonnenobservatorium der Welt, die Datierungen nach der Radiokarbonmethode ergeben ein Alter von 6900 Jahren. Die Anlage lieferte tagesgenau zwei Marken im Jahreslauf und damit Orientierung für die optimale Zeit für Aussaat und Ernte. Wie Wolfhard Schlosser vom Astronomischen Institut der Ruhr-Universität in Bochum herausfand, zeigen die Visierlinien vom Zentrum der Anlage zu den beiden südlichen Toren auf die Orte des Sonnenaufgangs bzw. Sonnenuntergangs am Tag der Wintersonnenwende für etwa das Jahr 4800 vor Beginn unsrer Zeitrechnung. Weitere Öffnungen im Pallisadenkreis ermöglichen die Bestimmung der Sommersonnenwende. In der Jungssteinzeit, dürfte sich der Anblick der Anlage wenig vom heutigen unterscheiden haben. Vermutlich stand das Observatorium wie in unseren Tagen frei inmitten einer weiten Ackerfläche. Die letzte Eiszeit war damals erst vor 3000 Jahren zu Ende gegangen. Mitteleuropa war nun bis zu 80% aus einem Mischwald aus Eichen, Ulmen und Linden bedeckt, auch Buchen und Eschen kamen vor. Doch wäre um die Beobachtungsstätte nicht in weitem Umkreis der Wald gerodet gewesen, hätte man die tiefstehende Sonne nicht anpeilen können. Man darf spekulieren, der nächstgelegene Waldrand lag dort, wo er auch jetzt verläuft, einige hundert Meter im Süden, am Abruch zum Saaletal hin. Das steile Gelände dürfte seit jeher für die Bauern wenig interessant gewesen sein. Im Einzugsgebiet der Kreisgrabenanlage wohnten in der Jungsteinzeit Menschen mit einer sesshaften Lebensweise, die Ackerbau und Viehzucht betrieben. Die Waldrodung, um Anbaufläche zu gewinnen, war eine Grundvoraussetzung für freie Sicht und den Bau des Sonnenobservatoriums.

Archäologischer Astrotourismus in Sachsen-Anhalt Wirtschaft PT-MAGAZIN 1/2020 29 Bereits Anfang der 1970er Jahre waren Agrarfliegern der DDR die kreisförmigen Strukturen aufgefallen. Ab 1991 wurde das Sonnenobservatorium vom Luftbildarchäologen Otto Braasch wissenschaftlich erfasst. 1999 folgten sorgfältige Luftaufnahmen sowie hochauflösende Messungen des geomagnetischen Feldes,womit eine hochaufgelöste Karte der Struktur erstellt werden konnte. 200 Meter nordöstlich wurden dabei Reste einer prähistorischen Siedlung geortet. Zwischen 2002 und 2004 wurde die Anlage völlig freigelegt und zwischen Juni und Oktober 2005 gemäß den Forschungsergebnissen naturgetreu wiederaufgebaut. Jeder Eichenstamm wurde über die Länge die er in der Erde steckt zweimal angebrannt und mit Buchenholzteer bestrichen, um Fäulnis zu verhindern. Die oberen Enden der Stämme wurden mit Hanfseilen miteinander verbunden. Die Eröffnung wurde am 21.Dezember 2005 gefeiert, zur ersten Beobachtung der Wintersonnenwende nach rund 6900 Jahren. Auf drei Stelen gleich rechts vom Zugang zum Nordtor der Anlage kann sich der Besucher nun mit Texten und Grafiken über Hintergründe informieren. Im etwa 1,5 Kilometer entfernten Schloß, für das das idyllische Dörfchen Goseck bisher schon bekannt war ,wurde zudem ein Besucherzentrum eingerichtet, in dem über die Geschichte und Funktion der Anlage und das Leben der Menschen vor fast 7000 Jahren informiert wird. Wenige Jahrhunderte vor dem Bau des Sonnenobservatoriums waren die ersten mitteleuropäischen Bauern aus dem Nahen Osten eingewandert. Neuere genetische Untersuchungen zeigen, dass die Zuwanderer die Landwirtschaft mitbrachten, d.h. Ackerbau und Viehzucht wurden nicht durch Kulturweitergabe von den bisher hier ansässigen Jägern und Sammlern übernommen. In drei Gruben wurden menschliche Gebeine entdeckt, bei denen offenbar das Fleisch sorgfältig von den Knochen abgeschabt worden war . Möglicherweise handelt es sich hier um Menschenopfer oder Begräbnisrituale. Auch einige Rinderknochen, vor allem Schädel, wurden ans Tageslicht gefördert. Etwa einen Kilometer von der Kreisgrabenanlage entfernt fand ein Forscherteam der Universität Halle schließlich die Überreste einer 7000 Jahre alten neolitithischen Ortschaft der Linearbandkeramik. Hier lebten mutmasslich die Erbauer und Nutzer des Ringes. ˘

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