Wirtschaft Die Zukunft der Versicherungen Herausforderung für eine konservative Branche Die deutsche Versicherungswirtschaft wächst im weltweiten Vergleich auch weiterhin langsamer als der Durchschnitt. Marktsättigung reicht als Erklärung nicht aus, obgleich eine deutliche Mehrheit angibt, bei ihren Versicherungen bereits alles Nötige geregelt zu haben. Denn zugleich erklärt jeder Fünfte auf Nachfrage, nicht ausreichend abgesichert zu sein. Zeit- und Geldmangel sind dafür ebenso ausschlaggebend wie die hohe Komplexität des Themas und ein mangelndes Vertrauen zu den Anbietern. Aus Kundensicht haben sich die Versicherungsunternehmen und ihre Angebote in den letzten beiden Jahrzehnten, also nach Ende der strikten staatlichen Regulierung, nicht entscheidend verändert bzw. verbessert. Eine konservative Grundhaltung und vorsichtiger Umgang mit Innovationen sind immer noch kennzeichnend für weite Teile der Branche. Was aber während der Krise 2008 geholfen hat am Markt zu bleiben, wird heute zunehmend zum Problem, denn es hindert die Unternehmen daran, die notwendige Flexibilität und Geschwindigkeit zu entwickeln, um den immer schnelleren Veränderungen Rechnung zu tragen. Die Branche muss sich stellen Dass es auch anders geht zeigen Versicherungen wie die L&T General Insurance Company, insurethebox, die Met- Life Insurance Company oder die ERGO Direkt mit ihren laufenden Innovationsprojekten. Markttreiber sind neben Naturgefahren und technologischen Veränderungen vor allem die politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen. Standardisierungsbestrebungen, demografischer Wandel, (digitale) Transparenz und Vertrauen, tiefes Zinsniveau und Vulnerabilität an den Finanzmärkten sind hier nur einige der Stichworte für Entwicklungen und Trends, denen sich die Branche stellen muss. Und die das Potenzial haben, die Kunden-, Unternehmens- und Branchenstrukturen erheblich zu verändern und neue Märkte entstehen zu lassen. Die etablierten Versicherer werden sich sowohl in ihren heutigen als auch in den neuen Märkten mit neuen Anbietern mit neuen Leistungsangeboten und Wertschöpfungsmodellen auseinandersetzen müssen. Eine Auseinandersetzung, bei der ihre traditionelle Stärke im Bereich der Datenanalyse nicht viel helfen wird, denn Märkte, die erst neu entstehen oder geschaffen werden, lassen sich damit weder erfassen noch verstehen. Die wichtigsten Trends für Versicherer: Kundendialog/Vertrieb Wer das Internet nur als weiteren Marketing- und Vertriebskanal versteht, der verkennt das Geschäftspotenzial. Das Internet verändert die Produkte. Kunden erwarten, dass sie durch das Internet bessere Produkte bekommen. Produkte Dienstleistungen Kundenerwartungen und geändertes Kaufverhalten führen zu einer deutlichen Polarisierung des Marktes. Im Massenmarkt werden zunehmend Produkte und Dienstleistungen nachgefragt, die situationsbezogen und adaptiv auf neue Nutzungssituationen reagieren. Produkte und Dienstleistungen müssen konfigurierbar und skalierbar sein, gleichzeitig müssen die Vertriebswege und die Prozesse dahinter so schlank sein, dass dadurch kein renditeschmälernder Mehraufwand entsteht. Geschäftsmodelle Je weiter die Digitalisierung um sich greift, desto aggressiver entkoppeln Overthe-top-Angebote (OTT) das Geschäftsmodell von der Infrastruktur und drängen die etablierten Infrastrukturanbieter skrupellos an den Rand. Die Versicherungen konkurrieren nicht mehr untereinander, sondern mit der Internetbranche, die große Kompetenzvorsprünge im Verständnis des digitalen Kunden hat. Unsicherheit In neuen, bisher unbesetzten Bereichen der „Unsicherheit“ ergeben sich neue Geschäftsmöglichkeiten. Es ist offensichtlich, dass die Versicherungsbranche droht, die Zeichen des gesellschaftlichen Wandels zu verkennen. Seit einigen Jahren verzeichnet unsere Welt eine gestiegene Unsicherheit unter den Konsumenten. Diese Unsicherheit entstand deshalb, weil die Versicherungsbranche zwar nach wie vor die alten Gefahren (Feuer, Wasser, Sturm) professionell mit Rechenmodellen hinterlegt und versicherbar macht. Jedoch verkennt sie, dass die neuen Unsicherheit der Gesellschaft aus anderen Bereichen kommen: Bildung, Daten, Netzwerke, etc. Online-Vergleichsportale Im Versicherungsbereich sind Online- Vergleichsportale nicht aufzuhalten. Das Entscheidungsverhalten der Kunden geht zunehmend über Portale. Der englische Markt ist hier in der Umsetzung deutlich weiter als wir in Deutschland, z. B. können Suchportale dort bereits beauftragt werden, immer den billigsten Anbieter herauszusuchen und Verträge entsprechend umzuschichten. (Foto: vorsprach/Flickr.com) Neue Mitbewerber Google ist in den USA und in England bereits in das Vergleichsportal-Geschäft für Versicherungen eingestiegen und wird Mitte diesen Jahres voraussichtlich auch in Deutschland damit an den Start gehen. Da Google (zumindest perspektivisch) die üblichen Daten, die über die Eingabemasken abgefragt werden, mit seinem umfassende Wissen über Nutzergewohnheiten, -vorlieben etc. kombinieren kann, ist nicht nur eine bessere Qualität (im Sinne von gefühlter Relevanz) der Ergebnisse möglich, sondern auch die Entwicklung komplett neuer Versicherungsangebote - entweder als Anbieter oder als Mittler in Kooperation mit Premium-Partnern. Kampf um den POS Autohersteller bieten heute durchgehend auch Finanzierungen und Versicherungen, häufig auch im „Rundum-Sorglos-Paket“ mit Garantie(verlängerungen) etc. an - und greifen damit die Agenturen der klassischen Versicherungen an. Der Innovations-Anspruch: von Best Practice zu Next Practice Die Grundlogik der Versicherungsbranche und ihrer Wertschöpfung wird heute schon in Teilbereichen durch Innovatoren angegriffen. Bestehende Erfolgsmuster der Versicherer können sehr schnell ihre Gültigkeit verlieren. Entsprechend dringlich ist die Suche nach Wegen zur Erneuerung des Geschäftsmodells, für die wiederum die Innovationsfähigkeit eine wesentliche Voraussetzung ist. Erfolgreiche Innovation verlangt neben der engen Abstimmung mit der Unternehmensstrategie und dem Commitment der Unternehmensführung nach klaren Regelungen für den eigentlichen Innovationsprozess und seine Verankerung im Unternehmen. Der Fokus kann dabei - in Anlehnung an die Typologie von Clayton Christensen - auf verschiedene Arten von Innovation gelegt werden • „Empowering Innovations“ sind häufig disruptive Innovationen, die neue Märkte schaffen oder bestehende Märk te (deutlich) vergrößern Der Kampf um die Kunden, muss auf mehreren Ebenen stattfinden • „Sustaining Innovations“ sind im Kern inkrementelle Verbesserungen von bestehenden Produkten und Dienstleistungen • „Efficiency Innovations“ reduzieren die Produktions- oder Distributionskosten für angebotene Leistungen Mit ihrer Erfahrung und ihren Kompetenzen sind Versicherungsunternehmen in der Regel gut aufgestellt, um Produkte und Dienstleistungen zu verbessern und die Effizienz der Leistungserbringung zu steigern. Aber auch für disruptive Innovationen in der Versicherungsbranche gibt es eine wachsende Zahl von Beispielen. Weitere absehbare Regelbrüche im Markt Versicherungen versichern Risiken, bevor ein Schaden eintritt. Oder auch neuerdings danach. Bsp.: ERGO Direkt: hier lassen sich Versicherungen noch abschließen, wenn der Schadensfall bereits eingetreten ist, so bei der Zahnzusatzversicherung. Versicherungen werden sich zunehmend nicht nur als Schadensregulierer, sondern zugleich als Präventionsdienstleister verstehen - etwa im Bereich der heute nicht abgebildeten Unsicherheiten, aber auch beispielsweise durch Hinweise der Telematik-Systeme für besseres, sicheres Fahren. Versicherungsunternehmen werden zu Identitätsmanagern ihrer Kunden, wenn sie sich als kompetente, wissende Dienstleister mit einer klaren Ausrichtung an Leitlinien (ethisch, gesellschaftlich, ökologisch, ...) positionieren. Die Grundlogik des Provisionsmodells wird voraussichtlich in Teilbereichen aufgelöst, wie dies etwa die Quirin-Bank als „Honorarberater“ im Finanzsektor seit einigen Jahren praktiziert. Versicherungsvertreter und -makler erhalten damit die Chance, sich sehr viel glaubhafter als „im Sinne des Kunden“ handelnd zu positionieren. n Jörg Wallner Über den Autor n Dr. Jörg Wallner entwickelt als „Director Innovation Management & Consulting“ bei dem 2b AHEAD ThinkTank Innovationsstrategien und Geschäftsmodelle der Zukunft. Als Dozent lehrt er am Competence Center Digital Economics in Hamburg. (Foto: Jörg Wallner) 30 P.T. MAGAZIN 4/2013 4/2013 P.T. MAGAZIN 31 (Foto: library_mistress/Flickr.com)
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