02 E-Paper 11/2020 Der richtige Umgang mit Insolvenzen in Zeiten von Corona: Im Gespräch mit Herrn Steffen Hahn Der gebürtige Viersener Rechtsanwalt Steffen Hahn ist zugelassener Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Wirtschaftsjurist und Wirtschaftsmediator. Mit seiner Expertise ist er einer der führenden Ansprechpartner rund um die Fachthemen des Wirtschaftsrechts, Arbeitsrechts, Insolvenzrechts und Zivilrechts. Als Inhaber seiner 2018 gegründeten Anwaltskanzlei Hahn berät er kompetent Unternehmer, Arbeitnehmer und Verbraucher aus Nordrhein- Westfalen. Insolvenzen sind in Zeiten der durch die Covid-19-Pandemie geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen ein sehr präsentes Thema. Wie helfen Sie Ihren Mandanten dabei, sich in diesem komplexen Themengebiet so gut zurecht zu finden? Steffen Hahn: Ich versuche, die immer neuen Entwicklungen auf diesem Rechtsgebiet auf den Punkt zu vermitteln und gebe Interviews wie dieses (lacht). Im tiefen Ernst: Das Coronavirus hat uns allen vor Augen geführt, wie fragil unser vermeintlich unverletzbares Zusammenleben und auch unser ökonomisches System ist. Ein unvorhersehbarer „Schock“, der gerade mittelständische Unternehmen und deren Belegschaft existenziell bedroht hat und weiter bedroht. Eine solche disruptive Entwicklung erfordert eine ambitionierte Beratung in einfacher Sprache. Die Insolvenzantragsstellung ist als Unternehmer meist ein sehr schwerer Schritt. Auf welche Aspekte muss man hierbei besonders achten und welche Rolle spielt dabei das Schutzschirmverfahren im deutschen Insolvenzrecht? Steffen Hahn: Zuerst muss man sehen: Die strafbewehrte Antragspflicht gilt nicht für jedes Unternehmen, wohl aber für juristische Personen (etwa Gesellschaften mbH), aber auch Gesellschaften, bei denen kein privat-persönlich haftender Gesellschafter an Bord ist. Die klassische Personengesellschaft ist also nur insolvenzantragspflichtig, wenn kein Unternehmer unmittelbar mit seinem Privatvermögen im Feuer steht. Dann geht es darum, zu prüfen, ob überhaupt eine Insolvenzlage eingetreten ist. Gibt es Vereinbarungen mit großen Gläubigern? Stundungen? Fälligkeitsvereinbarungen? Die Insolvenzantragspflicht war für den Fall der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung eines Unternehmens bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Nun hat die Politik die Insolvenzantragspflicht weiterhin bis zum 31.12.2020 ausgesetzt. Aber Vorsicht! Nicht, wenn eine Zahlungsunfähigkeit vorliegt! Dies zu prüfen, ist eine Team-Aufgabe in der Zusammenarbeit des Rechtsanwalts mit dem zuständigen Steuerberater. Allein Unternehmen, die überschuldet sind, sollen noch bis zum 31.12.2020 (Stand heute) die Turnaround-Möglichkeit außerhalb eines Insolvenzverfahrens bekommen. Dabei ist das sogenannte Schutzschirmverfahren eine beachtliche Möglichkeit der Sanierung. Hier geht es darum, in Eigenregie unter Aufsicht eines Sachwalters bis zu 3 Monate vor der Vollstreckung von Gläubigern geschützt ein tragfähiges Sanierungskonzept zu erarbeiten. Dies ist eine denkbare Möglichkeit für Unternehmen, die aufgrund ihrer Liquiditätsplanung eine Zahlungsunfähigkeit erwarten müssen, aber noch zahlungsfähig sind. Ein begrenztes Zeitfenster, um extern Vertrauen bei Verhandlungspartnern zu gewinnen und intern einen Insolvenzplan zur Sanierung vorzubereiten. Hier gibt es massive Entlastungsmöglichkeiten für das Unternehmen. Um die Verbindung zu Corona zu schlagen: Gerade kleine und mittelständische Unternehmen, die aufgrund dieses Schocks betroffen sind, haben hier die Möglichkeit, Zeit zu gewinnen und sich einerseits einen Weg aus der Existenzkrise zu bahnen, andererseits allerdings die gesetzlichen Verpflichtungen zu achten. Wer einen Antrag auf Eröffnung des Schutzschirmverfahrens bei drohender Zahlungsunfähigkeit stellt, handelt vorausschauend und vermeidet unnötige Haftungsrisiken! Geht man davon aus, dass sich die Lage im Frühjahr 2021 stabilisieren sollte und dann ein Impfstoff erprobt und eingesetzt wird, ist der Weg eines Schutzschirmverfahrens mehr als zweckmäßig. Zwischen Lockdown und Quarantäne: Wie wirkt sich die aktuelle Lage auf die Arbeitsmarktsituation in Deutschland aus? Steffen Hahn: Die Arbeitslosigkeit liegt derzeit in Deutschland bei 6 Prozent. Dies muss man als geradezu sensationellen Wert anerkennen. Nach der Finanz- und Weltwirtschaftskrise 2007/2008 betrug die Arbeitslosigkeit im Januar 2009 etwa 7,4 Prozent, während sie im Januar 2008 bei 8,1 Prozent lag. Die Erklärung dafür ist klar: In Deutschland setzen wir sehr stark auf die Themen Kurzarbeit und flexible Formen der Arbeit. Einerseits hilft das Modell der Kurzarbeit den mehr als zehn Millionen Beschäftigten, um Kündigungen zu vermeiden und Sanierungsversuche zu begünstigen. Die Kosten dafür betragen 30 Mrd. Euro bei einem Bundeshaushalt von ca. 360 Mrd. Euro. Andererseits sind offensichtlich viele Jobs durch moderne Home-Office-Lösun- E-Paper 11/2020
03 (© www.kanzlei-hahn.net) Steffen Hahn (© www.kanzlei-hahn.net) E-Paper 11/2020 gen zu bewältigen. Hier zeigt sich, welche Möglichkeiten die Digitalisierung geschaffen hat und weiter schaffen wird. Sollte es in meinem Unternehmen zu einer Insolvenz kommen, welchen Tipp würden Sie mir als Unternehmer geben, um selbst abgesichert zu sein? Steffen Hahn: Ein seriöser Rat kann nur sein: Alle wesentlichen Geschäftstätigkeiten, Verhandlungsergebnisse und Vorhaben dokumentieren, ggf. einen Insolvenzantrag stellen, kein Unternehmensvermögen verschleudern und unter Wert abgeben, frühzeitig die anwaltliche Beratung suchen. Und ganz wichtig: Keine Gläubiger im Einzelfall begünstigen und durch Einzelzahlungen bevorzugen. Ggf. müssen auch zusätzliche Konten eingerichtet werden, um Haftungsansprüche auszuschließen. Welche Folgen hat die ausgesetzte Insolvenzantragspflicht auf die Sanierungsaussichten von in Schieflage geratener Unternehmen? Steffen Hahn: Der Gesetzgeber hat vielen Unternehmen, die im Wirtschaftskreislauf von Corona betroffen sind, eine Chance und ein Zeitfenster eröffnet. Im Grunde muss man hier das Bild des Tunnels bemühen. Licht am Ende des Tunnels ist nur der Impfstoff, dessen Wirksamkeit und damit eine Rückkehr in ein geordnetes gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben sowie die Planbarkeit und Normalisierung der Annahmen von Investoren. Die Politik hat während der Tunnelphase für Unternehmen, die sonst stecken geblieben wären und nicht das Licht des Tunnels erblickt hätten, Brücken gebaut. Diese Brücken, gerade das Schutzschirmverfahren für überschuldete Unternehmen oder solche, bei denen die Zahlungsunfähigkeit absehbar droht, müssen nun gegangen und genutzt werden. Wie schätzen Sie im Hinblick auf die aktuelle Marktsituation die Zukunft der Branche ein? Steffen Hahn: Ich rechne, wenn, dann mit einer schrittweisen Erholung besonders betroffener Branchen wie der Gastronomie, Unterhaltung oder dem Tourismus. Aber auch andere Branchen können betroffen sein, da die Investitionsbereitschaft stark gesunken ist. Ich selbst berate einen Hidden Champion im Bereich der IT-Ausstattung von Industriewerken, der unter Corona stark gelitten hat. Bei aller Euphorie wegen des aussichtsreichen Impfstoffs von Biontech und Pfizer: Risiken wie eine Mutation des Virus bleiben. Die logistische Herausforderung, die Bevölkerung zu impfen, wird enorm sein. Hinzu kommt, dass die zweite Corona-Welle in ihrer Intensität noch nicht richtig abschätzbar ist und bis Ende März dauern könnte. Daher ist besondere Vorsicht geboten. Um es auf den Punkt zu bringen: Wo die Börsen den Impfstoff feiern, heißt das in der Realität (fast) nichts. ó
Laden...
Laden...
Laden...
Copyright © 2006-2017 OPS Netzwerk GmbH.
powered by SITEFORUM
Follow Us
Facebook
Google+