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P.T. MAGAZIN 06/2012

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Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung

Verklagt die EZB! Nur

Verklagt die EZB! Nur der Rechtsstaat kann Europa retten! 1. Die Bundesregierung wird nicht versuchen, die EZB-Geldpolitik durch eine Klage zu verhindern. Wie auch bei früheren Rechtsbrüchen wie der vertragswidrigen Aufnahme Griechenlands in die Währungsunion, der Missachtung der Maastricht-Schuldenkriterien durch Deutschland und Frankreich und dem Bruch der No-Bailout-Klausel im Jahr 2010. Letztlich waren und sind diese Rechtsbrüche politisch gewollt. Auch die europäischen Institutionen griffen, kaum verwunderlich, ihre eigene Politik nicht gerichtlich an. Wirtschaft 2. Klagen kann nicht nur die Regierung. Klagen kann unter bestimmten Bedingungen jeder. Die EU ist eine Rechtsgemeinschaft, Deutschland ein Rechtsstaat. Zu den anerkannten Rechtsgrundsätzen gehört: Wer durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, kann sich vor Gericht dagegen wehren. Das gilt auch bei Maßnahmen der EZB: Sie übt öffentliche Gewalt aus. Mit ihrer Geldpolitik benachteiligt sie durch Inflation massiv Geldvermögen gegenüber Sachvermögen und belastet über ihren Niedrigzins Sparer als Gläubiger zum Vorteil der Schuldner, vor allem der verschuldeten Staaten. Dadurch können Geldeigentümer und Sparer in ihren Rechten verletzt sein. In der Euro-Krise scheinen keine Regeln mehr zu gelten: Entgegen den EU-Verträgen werden Staatsschulden vergemeinschaftet, und die EZB (Europäische Zentralbank) finanziert Staatsschulden durch Anleihekäufe, Kreditvergabe und Niedrigzinsen. Jetzt wird gefordert, die EZB vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu verklagen. Kann das gehen? Wie kann das gehen? Und was könnte das Ergebnis sein? Dazu zunächst vier Feststellungen: (Foto: La-Liana/pixelio.de) 3. Besteuerungsgleichheit – auf die Wirkung kommt es an: Inflation und Niedrigzins wirken wie eine Steuer. Ein Ansatzpunkt für eine Klage gegen die EZB wäre ein Verstoß gegen die Besteuerungsgleichheit: Für die Staatsfinanzierung gilt seit der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 die Besteuerungsgleichheit, und zwar für jede Form der Staatsfinanzierung, ob Steuern, Inflation oder Niedrigzins. Es kommt nicht auf die Bezeichnung der öffentlichen Last durch den Staat an, sondern auf seine tatsächliche Wirkung. Über Inflation und bewusst niedrig festgelegte Zinsen finanziert die EZB die Staaten und deren Schulden mit. Staatsfinanzierung über Inflation und Niedrigzins ist ungleich, willkürlich und unsozial und verstößt so gegen die Besteuerungsgleichheit. Die Besteuerungsgleichheit ist in Deutschland als Grundrecht nach Artikel 3 GG geschützt, in der EU seit dem Lissabon-Vertrag über das Gleichheitsgrundrecht der Grundrechtscharta. Sie bietet grundrechtlichen Schutz gegen Rechtshandlungen der EU und damit auch der EZB. 60 P.T. MAGAZIN 6/2012

4. Wenn der Gerichtshof der EU eine Klage ablehnt… …kann das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) angerufen werden. Schutz gegen die Verletzung der Besteuerungsgleichheit durch die EZB wegen verdeckter Staatsfinanzierung über Inflation und Niedrigzins ist primär vor dem Gerichtshof der EU zu suchen. Wenn der Gerichtshof der EU jedoch die Klagebefugnis des einzelnen Bürgers verneinen sollte, wäre eine Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG zulässig. Denn das BVerfG hat in seiner Maastricht-Entscheidung die Übertragung von Hoheitsrechten nur insoweit zugelassen, als auf europäischer Ebene effektiver Rechtsschutz auch gegenüber Grundrechtsverletzungen gewährleistet ist. Verletzen europäische Akte der öffentlichen Gewalt das Grundrecht der Besteuerungsgleichheit und gewährt der Gerichtshof der EU keinen effektiven Rechtsschutz, muss das BVerfG die Grundrechte schützen, auch gegen Akte der EZB. The Rule of Law Keine Demokratie ohne Rechtsstaat - der Rechtsstaat ist bei der Euro-Krise nicht das Problem, sondern die Lösung. Die Politik tut so, als ob das Recht der Lösung der Krise im Wege stünde. Dies ist grundfalsch. Die europäische Staatsschuldenkrise gäbe es nicht, wenn das Recht durchgesetzt worden wäre. The Rule of Law ist nicht nur im Selbstverständnis der westlichen Demokratien konstitutives Element der Ordnung, die im Westen als Moderne schlechthin und als universal geltendes Vorbild für den Rest der Welt gilt. The Rule of Law ist eine der Bedingungen für Aufstieg und Dominanz Europas in der Neuzeit. Denn ohne Rechtsstaat kann Demokratie nicht nachhaltig funktionieren. Staatsschuldenkrise ist Krise des Regierungssystems Letztlich alle westlichen Demokratien geben seit den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts mehr Geld aus, als sie durch Steuern einnehmen, und lassen so die Schulden wachsen bis zur Staatsschuldenkrise. Diese Folge hat James Buchanan, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, bereits damals aufgrund seiner Analyse sogenannter demokratischer Entscheidungen vorhergesagt. Die Staatsschuldenkrise ist damit letztlich eine Krise des Regierungssystems der westlichen Demokratien. Verlangen nach höheren Staatsausgaben Wie im vordemokratischen Europa ist auch in wohlfahrtsstaatlichen Demokratien das Verlangen der Herrschenden nach höheren Staatsausgaben grundsätzlich unbeschränkt. Ihre Grenze finden Staatsausgaben damals wie heute nur in den möglichen Staatseinnahmen. Da letztlich alle Staatseinnahmen von den Bürgern aufzubringen sind, hat sich der Grundsatz entwickelt, dass alle Staatseinnahmen die Zustimmung der Bürger benötigen – no taxation without representation. Damit wird der notwendige Zusammenhang zwischen Staatsausgaben und Staatseinnahmen hergestellt – nur wenn mit der Entscheidung über staatliche Wohltaten zugleich über deren Kosten mit entschieden werden muss, kommt es zu einer Begrenzung der Staatseinnahmen und damit der Staatsausgaben. Nur die offene Staatsfinanzierung über Steuern zwingt zur offenen Auseinandersetzung über den Zusammenhang zwischen Staatseinnahmen, Staatsaufgaben und Staatsausgaben und ermöglicht damit, was als politische Kontrolle bezeichnet wird. Bis zum Staatsbankrott Im Kampf um die Macht verspricht die Politik Wohltaten und versucht, damit verbundene Belastungen der Bürger zu verschleiern. Instrumente sind dabei etwa Inflation und Niedrigzinspolitik als Formen verdeckter Staatsfinanzierung. Die verdeckte Staatsfinanzierung über die Geldpolitik findet außerhalb der Parlamente statt. Ihr fehlt jede demokratische Legitimation. Wird die verdeckte Staatsfinanzierung zugelassen, stehen vermeintlich nur weitere Wohltaten – ohne weitere Kosten - zur politischen Entscheidung an, und das Wachstum der Staatsausgaben kennt keine Grenze – bis zum Staatsbankrott. Ungleich und willkürlich Verdeckte Staatsfinanzierung belastet die Bürger ungleich und willkürlich. Zudem ist sie völlig unsozial. Sie verletzt das individuelle Grundrecht auf Besteuerungsgleichheit und das Verbot von Sonderabgaben. Wenn sich der einzelne gegen die versteckte Staatsfinanzierung zur Wehr setzt, erzwingt er indirekt die offene Staatsfinanzierung mit politischer Auseinandersetzung über Staatsausgaben und Steuerlast. Er ermöglicht erst nachhaltige Demokratie. Untrennbar mit Rechtsstaat verbunden Das Modell westlicher Demokratie kann nur als Rechtsstaat überleben. Nur über den Rechtsstaat werden die Herrschenden gezwungen, die wirklichen Kosten ihrer Politik offenzulegen und so nachhaltige Entscheidungen herbeizuführen. Dies ist Bedingung für die Lern- und Anpassungsfähigkeit des demokratischen Herrschaftssystems und damit für sein Überleben. Der Aufstieg des Westens ist untrennbar mit dem Rechtsstaat verbunden. Gibt der Westen den Rechtsstaat auf, gibt er sich selbst auf, und es bleibt nur die Revolution. Bei dem Weg in die Staatsschuldenkrise haben BVerfG und EuGH versagt. Bei dem Weg aus der Staatsschuldenkrise heraus dürfen sie nicht wieder versagen. Es geht um das Überleben Europas. n Hans-Walter Forkel Über den Autor n Dipl.-Ökonom Prof. Dr. Hans- Walter Forkel, LL.M. (London), ist Rechtsanwalt und lehrt als Honorarprofessor an der Technischen Universität Dresden n radr.forkel@ddkom-online.de 6/2012 P.T. MAGAZIN 61

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