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P.T. MAGAZIN 05/2011

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Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung

Gesellschaft Zukunft

Gesellschaft Zukunft Deutschland Hat die Marktwirtschaft noch eine Chance? Aus dem Festvortrag von Prof. Michael Hüther zu „60 Jahre Institut der deutschen Wirtschaft Köln“ Werden sie frei und selbstverantwortlich aufwachsen oder fremdbestimmt und uniformiert? Krisen sind bei aller Erschütterung, die sie verursachen, vor allem eines: Lektionen. Sie geben einen, wenn auch stets unwillkommenen, Anstoß zu kollektivem Lernen. Die marktwirtschaftliche Ordnung unterdrückt Krisen nicht. Als offenes System vermag sie mit Ungleichzeitigkeiten von marktgetriebener Innovation und institutioneller Umrahmung umzugehen, ebenso wie mit variierenden Interessengegensätzen oder sich ändernden Präferenzen. Gerade hierin liegt das Lernpotenzial, das sie begründet. In der vorindustriellen Zeit bestimmten Krisen vom „type ancien“ die Erfahrung. Dies waren keine zyklischen Erscheinungen. Diese Krisen ergaben sich aus Klimaveränderungen oder militärisch-politisch Ereignissen. Sie zogen regelmäßig große Bevölkerungsverluste nach sich. Das änderte sich zum Beginn des 19. Jahrhunderts, als Industrialisierung und Kapitalbildung endogen zyklische Veränderungen auslösten. Diese Krisen des Kapitalismus erschienen den Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts zumindest als hinnehmbare Erscheinungen. Der Blick aus der Krise auf den nächsten Boom nahm ihr den Schrecken und wandelte sie in etwas Erwartbares und etwas, das eine konstruktive Funktion im Wirtschaftsablauf hat. Der Bruch 1929 Dies änderte sich wieder grundlegend mit der Weltwirtschaftskrise ab 1929. Nun wurden im Anblick der Verelendung weiter Bevölkerungskreise der entwickelten Welt Erinnerungen an die Krisen von „type ancien“ wach, Erinnerungen an die Krisen der vorindustriellen Welt. Die Weltwirtschaftskrise war eine multiple Krise – eine Krise des Welthandels, eine Agrarkrise, eine Reparationskrise, eine Bankenkrise und eine Krise des Weltwährungssystems. Und so schien es nach dem Zweiten Weltkrieg für alle Akteure und Beobachter offenkundig zu sein: Die Wirtschaftspolitik kann und muss gegen Krisen wie die in der 1930er Jahren erlebte große Depression intervenieren. Das Paradigma von dem Zyklus und der Notwendigkeit von Krisen wurde ersetzt durch die These vom Ende der Selbststeuerung der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Ölkrisenkorrektur (Foto: anschi/pixelio.de) Krisen wurde damit keine Funktion mehr zugeschrieben. Erst die offensichtliche Fehlnutzung der Nachfragesteuerung als vermeintliche Antwort auf das volkswirtschaftliche Angebotsproblem der ersten Ölverknappung führte ab Mitte der siebziger Jahre in Teilen der Ökonomik - und verzögert auch in der Politik - zu einer konzeptionellen Neuorientierung unter der Überschrift „angebotsorientierte Wirtschaftspolitik“. Die keynesianisch geprägten Erwartungen wurden von der politischen Antwort auf die Finanzund Wirtschaftskrise unserer Zeit nicht enttäuscht. Die Krisenpolitik kam rasch zustande und war international sowohl sachlich als auch zeitlich koordiniert. Die erwartungstreue Krisenpolitik hat in Kombination mit einer seit rund vier Jahrzehnten laufenden fiskalischen Überforderung des Staates gravierende Folgen im Denken über Krisen und – davon nicht zu trennen – über die Normalität als Nicht-Krise. Die Erfahrung der Finanz- und Wirtschaftskrise ist damit heute dazu angetan, die Erwartungen an die Finanzpolitik neu zu verorten. Ein neuer Paradigmenwandel steht an. Das aber lenkt auch den Blick zurück auf die lange Frist. Der lange Atem des Strukturwandels Die nach 1976 einsetzende Renaissance der volkswirtschaftlichen Angebotsseite in der Wirtschaftsanalyse und auch in der Wirtschaftspolitik führte zwar zu einer kritischeren Wahrnehmung der Staatstätigkeit und zu einer stärkeren Betonung des Staatsversagens. Sie ging jedoch noch nicht so weit, dass eine grundlegende Neujustierung der Finanzpolitik eingeleitet wurde. Im Jahr 1967 wurde mit dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz die konjunkturpolitisch adaptierte Rezeptur von Keynes zu geläufigen Handlungsoption der deutschen Wirtschaftspolitik. Die gebotene Symmetrie im öffentlichen Haushalt, die Stabilisierungsausgaben eine Konjunkturausgleichsrücklage und Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer gegenüberstellte, wurde jedoch schnell aus dem politischen und dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt. Notwendige Korrekturen waren deshalb immer mit gewaltigen Anstrengungen und Widerständen verbunden. 6 P.T. MAGAZIN 5/2011

Gesellschaft Der kompetente Staat Effektivität und Effizienz blieben lange Zeit Fremdwörter, die einen für die Sozialpolitik scheinbar unzumutbaren Anspruch formulierten. Wir haben diese Konsequenz mit den Hartz- Reformen erlebt. Die Abwendung von einer Mentalität, die Effektivität und Effizienz ausblendet, hat tiefe Risse im politischen Fundament der Republik verursacht. Der Blick nach vorne wird von der Einschätzung getragen, dass der finanzpolitisch überdehnte Staat wieder zu einem kompetenten und auch so wahrgenommenen Staat wird. Drei Schritte und eine Erinnerung sind dafür erforderlich. Wir brauchen 1. eine Neumandatierung der Wirtschaftspolitik, 2. eine Priorisierung der Regelsetzung und 3. eine Aktivierung der Kategorie Mitverantwortung. Die Erinnerung hat mit der Verheißung der Freiheit im wirtschaftlichen Leben zu tun. Neumandatierung der Wirtschaftspolitik Die Lektionen der Finanz- und Wirtschaftskrise sind: 1. In einer Situation abrupt eintretender, umfassender und systemischer Unordnung der weltwirtschaftlichen Verhältnisse mit einer weitgehenden Erosion des Vertrauenskapitals ist globales Krisenhandeln der Geldpolitik und der Finanzpolitik sinnvoll und wirksam. 2. Entscheidend für die Wirksamkeit der Krisenpolitik ist aber letztlich, ob und wie der Ausstieg aus ihr organisiert wird. 3. Die Möglichkeiten der Krisenpolitik hängen fundamental davon ab, ob in Zeiten normaler konjunktureller Schwankungen die Finanzpolitik über den Zyklus hinweg den Haushaltsausgleich realisiert. Die Schuldenbremse erfährt hierin ihre tiefere Legitimierung. Karl Schiller hatte es bereits 1985 anlässlich der Feier seiner goldenen Promotion so formuliert: „Expansive Nachfragepolitik war unter den Bedingungen von Angebotsschocks … und tiefgreifenden Strukturwandlungen nicht angemessen. Mit anderen Worten: Durch Abusus unter nicht-keynesianischen Bedingungen geriet sie in Misskredit.“ Notwendige Unsicherheit Reformulieren wir also die Keynes‘sche Botschaft als Politik für fundamentale Krisen und verneinen wir ihre Vulgarisierung hin zur allfälligen und gefälligen Konjunkturpolitik. So wird der ausgeglichene Staatshaushalt zur zentralen, selbstverständlichen Orientierung für die Finanzpolitik. Damit aber verbindet sich unvermeidlich die neue alte Einsicht, dass Wirtschaftskrisen als Phasen im Wirtschaftszyklus auch eine Funktion haben können. Unsicherheit ist keine Bedrohung, die der Heilung bedarf. Vielmehr erweist sie sich durch ihre Disziplinierungswirkung für Investoren und Kapitalgeber als eine wichtige Bedingung für nachhaltiges Investieren. Priorisierung der Regelsetzung Die staatliche Garantie für den strukturell ausgeglichenen Haushalt kann freilich nur sinnvoll gelingen, wenn die Aufgabenseite von der Illusion der Allzuständigkeit des Staates unter der Bedingung der Einzelfallgerechtigkeit befreit wird. Die Krise hat zu vielfältigen Debatten über das in Zeiten wirtschaftlicher Globalisierung fragwürdig gewordene Primat der Politik geführt. Daran aber darf kein Zweifel entstehen: Es gibt Dinge, für die sind Regeln notwendig. Diese Regeln festzulegen, ist Sache des Souveräns, also des Volkes, das der Regierung ein Mandat erteilt. Freilich, reguläre, demokratische Mehrheitsentscheidungen müssen nicht per se immer schon richtig sein. Auch die Demokratie erfordert ihre Einhegung durch Minderheitenrechte und auch dadurch, dass den Bürgern Hubertus Pellengahr mit dem Vollbeschäftigungsturm bei staatlicher Aufgabenerfüllung Entscheidungsspielräume verbleiben, um so dezentral verfügbares Wissen mobilisieren und die Chance der Wissensentstehung durch Wettbewerb nutzen zu können. Umso bedeutsamer ist es, solche Regeln als gut anzusehen, die allgemein und abstrakt sind, die nicht auf spezifische Ergebnisse zielen, sondern ihre Legitimität aus dem Verfahren ableiten, das sie für den Interessenausgleich konstituieren. Regelbrüche ächten (Foto: INSM) Im normalen demokratischen und rechtsstaatlichen Miteinander muss der Regelbruch die Ausnahme sein. Auch hier machen aktuelle Entwicklungen Sorge, denn mit leichter Hand wurde zuletzt gar der Verfassungsbruch gewagt, Regierungsdekrete ersetzen legislative Akte. Gute Ordnungspolitik in der Tradition von Walter Eucken drückt sich in Gesetzen aus, nicht in Ausgabeermächtigungen, nicht im Zugriff auf heutige oder gar künftige Steuermittel. Natürlich schließt dies die Bereitstellung öffentlicher Güter nicht aus. Doch zu schnell und zu einseitig wird im politischen wie im öffentlichen Diskurs über die Beschaffung von Geld gesprochen, so dass hier verkürzend nur der Kontrapunkt gesetzt wird. 5/2011 P.T. MAGAZIN 7

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