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PT-Magazin_02_2016_Komplett

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Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung

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Bild: pompixs/fotolia.com Gesellschaft PT-MAGAZIN 2/2016 10 Zwischen Kulturphänomen und Fettnäpfchen Erkenntnisse einer Tabu-Forscherin im Land des Lächelns Immer mehr Menschen zieht es heute in andere Länder, sie leben in anderen Kulturen – teils aus privaten Gründen, häufig aufgrund ihres Berufes. Wer mit anderen lebt und arbeitet, ist darauf angewiesen, zu verstehen und verstanden zu werden. Jeder Kulturkreis besitzt seine eigenen ungeschriebenen Gesetze. Tabuthemen sollte man kennen. Wer einen Tabubruch begeht – oft ganz unbewusst, besonders in anderen Ländern – verletzt sein Gegenüber, denn es ist immer auch ein Angriff auf die Identität des anderen. Woher kommen Tabus in unserer scheinbar so tabulosen Zeit und wie kann man über sie reden? Sabine Krajewski, Kommunikationswissenschaftlerin und eine der führenden Tabu-Forscherinnen, versucht herauszufinden, wie Austausch zu solchen Themen zwischen Menschen funktionieren kann. PT-Magazin: Ich kann mich so bewegen, dass es behutsam und achtsam passiert, aber eben auch verletzend. Menschen sind manchmal taktlos und grenzüberschreitend, teils auch unbewusst, weil sie kein Wissen haben um bestimmte Verhaltensregeln und Tabus. Das hat zum Großteil mit unterschiedlichen Kulturen zu tun. Aufgrund Ihrer verschiedensten Auslandsaufenthalte, Ihrer Forschungen und Untersuchungen sind Sie zu aufschlussreichen Ergebnissen gekommen. Vielleicht stellen Sie sich erst einmal vor, wer Sie sind, was Sie machen, und was Tabu für Sie bedeutet. Krajewski: Ich komme aus Berlin – gebürtig aus Salzgitter – und habe in verschiedenen, vor allem angelsächsischen Ländern gelebt: in den USA, Kanada, fünf Jahre in England, dann wieder in Deutschland, von da aus nach China. Jetzt arbeite ich an der Macquarie University in Sydney, Australien. Tabu ist für mich ein elementares Thema in der interkulturellen Kommunikation. Wenn man in einem Land fremd ist, noch nicht vertraut mit den Gegebenheiten, kann man vieles falsch machen. Die meisten Menschen kennen diese unangenehmen Augenblicke des betretenen Schweigens, wenn man merkt, man ist ins Fettnäpfchen getreten. Aufklärung auf beiden Seiten ist notwendig und hilfreich. Für mich war China das Fremdeste! PT-Magazin: Haben Sie ein paar Beispiele für uns? Krajewski: Was mir in China auffiel und mich am meisten begleitete, war, dass Spucken kein Tabu ist, und zwar nirgends. Das ist das erste, das auffällt, denn es passiert überall, in Räumen, außerhalb

Bild: leungchopan/fotolia.com von Räumen. Im Bus finden Sie das ständig, ganz spannend im Taxi, da gibt es einen Spucknapf zwischen Fahrer und Beifahrer … meistens gehts gut. Spucken war früher auch in Europa kein Problem, das hat sich erst mit der Aufklärung wegen Tuberkulose geändert. Ein gutes Beispiel, Verhaltensweisen immer im Kontext des jeweiligen Kulturkreises zu betrachten. Krajewski: Ja, Umkehrungen finde ich interessant, z. B. was bei uns tabu ist beim Essen oder wie man Tiere behandelt, das ist in China ganz anders. Wenn das Essen noch lebendig ist, dann ist es einfach frisch und besonders empfehlenswert. Ein noch lebender Hummer ist besonders gut, wenn der Kopf noch atmet und der Körper schon abgetrennt und mundgerecht gewürfelt ist. Gesellschaft PT-MAGAZIN 2/2016 11 Bild: ChenPG/fotolia.com PT-Magazin: Die Chinesen ekeln sich nicht vorm Spucken – wie sieht es jetzt bei Ihnen aus? Krajewski: Ich ekel mich immer noch, sogar noch mehr! In China gilt Spucken als reinigend, es gibt viel Luftverschmutzung und die muss raus. Das Spucken anzusprechen, ist allerdings keine gute Idee, es wird entweder ignoriert oder das Thema gewechselt, es ist ein Tabubereich, obwohl es überall präsent ist. PT-Magazin: Gibt es in China ein Tabu, das bei uns Konvention ist, worüber Sie sich gewundert haben? PT-Magazin: Welche Verhaltensweisen in China sind so ganz anders als bei uns? Welche Tabus gibt es noch? Ist Sexualität – auch Homosexualität – ein Thema? Krajewski: Verhaltenstabu ist der Austausch von Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit – das wird nicht gern gesehen. Mädchen miteinander gehen Hand in Hand, aber Mädchen und Junge nicht. Man küsst sich auch nicht öffentlich. Auch nicht in Filmen. Sexualität ist nicht Teil der Öffentlichkeit. Die junge Generation ist da schon ein bisschen anders, aber es wird nicht öffentlich geknutscht, das ist ein Tabu. PT-Magazin: Was ist mit Homosexualität? Krajewski: Gibt es nicht, nicht offiziell. PT-Magazin: Was sagen Sie Managern, die nach China gehen? Krajewski: Es ist inzwischen relativ bekannt, dass man die Visitenkarte mit beiden Händen übergibt und die, die man bekommt, nicht einfach in der Hosentasche verschwinden lässt. Eine echte Herausforderung gibt es bei Geschäftsessen, denn es ist sehr unhöflich, etwas abzulehnen. Es gibt einen Unterschied zwischen der Reaktion von Frauen und Männern. Männer machen sich einen Spaß daraus, fast einen Sport, alles zu essen, auch unbekannte glibberige Sachen, weil sie nicht schwach wirken wollen. Frauen sind eher mal geneigt zu sagen: ich bin schon so satt. Sie tun sich das nicht an. Immer wieder erlebe ich mit meinen Studenten der interkulturellen Kommunikation, die aus vielen verschiedenen Ländern und Kulturen kommen, dass man sich oft nicht bewusst ist, dass verschiedene Personen das gleiche Thema ganz unterschiedlich betrachten, es eben nicht nur eine Sichtweise gibt. Und dass sich die Einstellungen und Tabus über die Zeit verändern. Bis in die späten achtziger Jahre war Homosexualität strafrechtlich verfolgt in Australien. Die jungen Studenten wissen das gar nicht mehr. Oder am Beispiel des Themas Scheidung. Noch vor 30, 40 Jahren waren geschiedene Frauen gebrandmarkt, darüber sprach man nicht, ein wirkliches Tabuthema. Heute sieht das in Australien ganz anders aus, aber in Indien ist es noch immer ein sehr großes Tabu. Viele Dinge sind einfach eine Frage der Zeit. Was tabu ist, hängt vom Ort ab, an dem man ist, von der Zeit, in der man lebt und von persönlichen Umständen wie Geschlecht, Alter, Herkunft, Bildung, Religion u. a. ˘

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