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PT-Magazin 01 2018

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Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung

PT-MAGAZIN 1/2018 Wirtschaft 36 Ambidextrie in KMU? Wie sich Unternehmen geschickt weiterentwickeln und Zukunft sichern Auch KMU sind aufgefordert, Ambidextrie zu praktizieren. Andernfalls sei die Zukunftsfähigkeit bedroht. Ambidextrie bedeutet wörtlich: beidseitig rechts. Gemeint ist: mit beiden Händen gleichermaßen geschickt sein. Die Geschicklichkeit beider Hände verweist auf ein Sowohl-als-auch, und Ambidextrie soll als Konzept und Methode Unternehmen helfen, Bewährtes und Neues parallel zu verfolgen und auf diese Weise auf der Erfolgsspur zu bleiben. Zweispurig in die Zukunft Ambidextre Unternehmen fahren zweispurig. Sie setzen im Rahmen der Zukunftssicherung parallel auf zwei Strategien mit den jeweils passenden Strukturen, Prozeduren und Qualifikationen. Das eine Ziel richtet sich darauf, lukratives Geschäft am Laufen zu halten; das andere darauf, innovativ zu sein, neue Geschäftsfelder und -modelle zu erschließen. Sowohl „weiter wie bisher“ (Nutzen von Optimierungspotenzial) als auch „neu, anders als bisher“ (Nutzen von Innovationspotenzial). Konkret kann das beispielsweise bedeuten, dass ein Unternehmen sein erfolgreiches Geschäft auf einem analogen Feld weiterhin profitabel betreibt (z.B. weiterhin konventionelle Autos zum Verkauf baut; weiterhin mit Patienten vis-à-vis sprechen) und gleichzeitig systematisch Neues anbahnt (z.B. Kooperation mit High-Tech-Unternehmen, um automatisiertes Fahren und Leih- Mobilität voranzutreiben; Kooperation mit ITK-Firmen, um Telemedizin, Watson, Big-Data zu nutzen). Ambidextre Unternehmen bauen nicht nur die digitale und organisationale Infrastruktur gemäß anvisierter neuartiger Geschäftsmodelle, Produkte, Services aus, sondern verändern zudem strukturell Kooperations- und Unternehmenskultur. Kooperieren, vernetzen, verbünden Um Möglichkeiten von Digitalisierung, Automatisierung, Vernetzung zu realisieren (Industrie 4.0, Internet der Dinge, Dienste und Menschen), kollaborieren beidhändige Unternehmen mit Konkurrenten, IT-Anbietern, Startups, Forschungsinstitutionen u.dgl. und vernetzen sich auf internen und externen, geschlossenen und offenen Plattformen. Um Innovationschancen zu erkennen und schnell zu mobilisieren („disruptive Innovation“), ist gegenwärtig neben der Kooperation mit F&E-Organisationen besonders die Zusammenarbeit von etablierten Unternehmen mit Startups und externen Spezialistenteams en vogue, deren Auftrag „Innovation“ lautet. Die Kooperationen weisen unterschiedliche Kopplungsgrade auf. Es gibt Unternehmen, die mit Partnern zeitlich oder projektspezifisch begrenzt arbeiten; solche, die mit „task forces“ bzw. Startups als ausgelagerte Teilunternehmen arbeiten, die zum Gesamtunternehmen gehören und doch an der „längeren“ Leine geführt werden; andere wählen die integrative Variante und etablieren sie als Inseln im Hauptunternehmen. Beidhändig bedeutet hier: sowohl in der tradierten Organisation weiter wirtschaften als auch organisational und kulturell Neuartiges installieren. Die Herausforderung, in dieser Weise beidhändig zu verfahren, liegt darin, die unterschiedlichen Subkulturen so zu arrangieren, dass beide „Hände“ geschickt a) gemäß Unternehmensziele, b) allein und c) bei Bedarf synergetisch arbeiten können und sich nicht gegenseitig stören. Beispiele finden sich inzwischen reichlich im weiten Feld der KMU. Etwa der Wandel von Verlagen als Printlieferanten zu „Medienunternehmen“, oder in der Automobilbranche, samt Zulieferbetrieben, die ihre Identität weniger um „Auto“ als um „mobil“ herum komponiert; oder die Finanz-, Versicherungs, - Rechtsbranche, die sich sowohl auf dem tradierten Markt engagieren als auch in den Bereichen Fintech, Roboadvisor, Legal Tech, Digitalisierung von Angeboten einsteigen und nutzen. Ambidextre Unternehmen verbünden sich zwangsläufig mit Wettbewerbern und Akteuren anderer Branchen und Forschungsorganisationen und begründen geschlossene und offene Plattformen und Netzwerke wie etwa OWL (Ostwestphalen-Lippe) oder das neu gegründete Cyberlab in Baden- Württemberg. © sanderstock - stock.adobe.com Erfolgsbedingungen checken Am Beginn des Nachdenkens darüber, ob, inwiefern, wozu und wie das eigene Unternehmen Schritte zu ambidextrer Unternehmensführung gehen soll, steht die Frage nach der Abhängigkeit der Geschäftsfelder und -modelle in ihrem Bezug zu ihren Erfolgsbedingungen, etwa Umweltentwicklungen, Marktrends, Modeströmungen etc. einer- und andererseits innerbetriebliche Facetten, von Infrastruktur bis Kultur. Die diesbezüglichen Überlegungen klären neben der Funktion, beidhändig zu verfahren, jene Anforderungen, die das Parallellaufen ermöglichen. Das Themenfeld ist

PT-MAGAZIN 1/2018 weit. Abgedeckt sein müssen nicht nur Aspekte im Rahmen der Informationstechnologie, Daten, Automatisierung, Schnittstellen, Vernetzung inner- und außerhalb des Unternehmens, sondern auch Facetten der Organisation, Führung, Prozesse, Qualifikation und Kultur(en). Zugespitzt und beispielhaft: Wo braucht es eher statische, festgelegte, zentral oder hierarchisch bestimmte Strukturen und Prozesse, und wo fluide, flexible, partizipative bis kollektiv selbstbestimmte im Rahmen agilen Arbeitens? In welchen Feldern führen autoritative Stile eher zum Ziel als demokratische, und wo verhält es sich umgekehrt? Welche Ressourcen, Freiräume und Grenzen, welche personalen und kollektiven Fähigund Fertigkeiten benötigt das „old business“ im Vergleich zum „new business“? Diese und weitere Fragen umfassen Überlegungen zu den Bedingungen der Möglichkeit, sowohl Probates zu nutzen als auch Neues zu probieren und das berühmte Arbeiten am Schiff während der Fahrt zu ermöglichen. Verhältnis von Dachkultur und Subkulturen Wegentscheidend und trotz besseren Wissens oft vernachlässig sind Entscheidungen zur kulturellen Verfasstheit. Unter der Voraussetzung, dass sich Subkulturen der Dachkultur subsumieren lassen sollen (Sinn-, Orientierungsgefüge), also ein Passungs-, Ableitungs-, Konsensverhältnis besteht: Welche Eckpunkte, Leitlinien empfehlen sich als Dachkultur, die den Toleranzrahmen für die Subkulturen vorgeben? Welche Mechanismen sorgen dafür, dass sich die Subkulturen nicht gegenseitig behindern, im Idealfall gar wechselseitig fördern? Wie sind Rückkopplungen zwischen Sub- und Dachkultur zu organisieren, damit das Gesamtsystem (Unternehmen) kulturell profitiert (Adaptivität, Selbsterneuerung/-entwicklung)? Alle weiteren Schritte folgen diesen Festlegungen. Plakativ und über den Daumen gepeilt gesprochen: Dort, wo keine Innovationen nötig sind und man sich auf das Optimieren von Bestehendem beschränken kann, kann mit Bewährtem weiter gearbeitet werden. Dort, wo Innovationen angestrebt werden, braucht es neue Strukturen und Prozesse, neue Umgangsformen und Qualifikationen. Dort, wo sich tradierte und neue Geschäftsfelder/-modelle überlappen oder tangieren, muss untersucht werden, welcher Stellenwert diesen Berührungen zukommt – und wie ihre Synergie gewährleistet werden kann. Über die Autorin Dr. Regina Mahlmann bietet Unternehmen Führungs- und HR-Unterstützung, damit diese nachhaltig erfolgreich sein können. Ferner ist sie aktiv als Coach, Speaker und Textcoach/ Ghostwriter sowie Autorin zahlreicher Bücher. www.dr-mahlmann.de Fertigkeit vom Tun und Lassen Grundsätzlich bedarf es vielfältiger Vorkehrungen, um das Sowohl-als-auch verwirklichen zu können. Ambidextre Unternehmen kommen nicht umhin, dafür zu sorgen, hochgradig an- und einpassungsfähig zu sein und kontext-, situations-, zielabhängig zwischen den beiden Modi (traditional, innovativ) wechseln zu können. Unternehmen erhöhen die Erfolgswahrscheinlichkeit dazu, indem die Führung ein Augenmerk auf die Fähigkeit legt, dass sich das Unternehmen laufend selbst weiterentwickelt. In ambidextren Unternehmen läuft die Frage nach Funktionalität, Nützlichkeit, Utilität immer mit: Was an Tradiertem belassen wir (zunächst) warum? Wo weichen wir warum davon ab bzw. fördern Abweichungen, Störungen, Experimente? Beidhändig operierende Unternehmen bewegen sich im Spannungsfeld von Regelbefolgung und Abweichungsfreiheit, Zentralität und Dezentralität, Routine und Agilität, Ordnung und Unordnung, Berechenbarkeit und Überraschung. Ambidextrie ist keine Zauberei, sondern betont eine Fertigkeit, die zur DNA von Unternehmensführung gehört: Das eine tun, ohne das andere zu lassen, nämlich: die Cashcow nähren und melken, solange der ROI lohnt, und gleichzeitig sich umschauen nach Chancen, Neugeschäft, neuartigen Modellen mit neuen Kooperationen und Aktionen, zu generieren und dies parallel zum Altgeschäft aufgleisen. ó 37 Wirtschaft

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