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P.T. MAGAZIN 01/2014

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Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung

Gesellschaft 8 Wenn

Gesellschaft 8 Wenn Akademisierung schadet Erich Dauenhauer warnt vor einer Fehlsteuerung der Bildungsströme zu Lasten der Betriebslehre. Der Akademisierungswahn entzieht den Betrieben dual ausgebildete Fachkräfte und gefährdet damit Deutschlands Wohlstand. (Foto: Arbeitgeberverband Gesamtmetall ME-Arbeitgeber/Flickr.com) Als ich im Jahre 1981 in der Erstveröffentlichung der „Berufsbildungspolitik“ (inzwischen 4. Auflage) vor dem Verlust des betrieblichen Erfahrungslernens warnte, lag ich quer zum bildungspolitischen Trend. Bildungsgesamtpläne feierten die angebliche Überlegenheit des Theorielernens in der Berufsbildung. Damit tappte man in die Falle der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Paris), die in den folgenden Jahrzehnten das deutsche Bildungssystem im Vergleich zu Ländern wie Frankreich und Italien als rückständig anprangerte, weil es zu wenige Akademiker ausbilde und damit den Wohlstand verspiele. Erst jüngst, unter dem Druck der Fakten, musste man zugeben, dass das deutsche Modell der dualen Betriebslehre einer der Hauptgründe dafür ist, dass Deutschland weit besser als Länder ohne duales System dasteht, so beim Wirtschaftswachstum, beim Beschäftigungsgrad u. a. m. Plötzlich wollen Bildungspolitiker „immer schon ein Herz für Lehrlinge“ gehabt haben und sogar das deutsche Modell exportieren. Die OECD sucht sich aus ihrer Jahrhundertblamage mit dünnen Erklärungen herauszuwinden. Hätte nicht insbesondere der Mittelstand hartnäckig an der Betriebslehre festgehalten, wären wir auch hierzulande auf dem Weg zu südeuropäischen Verhältnissen, die gegen eine Jugendarbeitslosigkeit bis zu fünfzig Prozent (wie in Spanien) zu kämpfen haben. Drittel der Studierenden hat falschen Lernort Doch die Gefahr ist auch hierzulande nicht gebannt. Als ich mein Abitur ablegte, lag die Jahrgangsquote dazu bei fünf Prozent. Inzwischen ist sie in manchen Stadtstaaten auf über vierzig Prozent gestiegen, und man gibt sich damit noch nicht zufrieden. Während die Hörsäle an Hochschulen überquellen, suchen Unternehmen händeringend nach ausbildungsfähigen Jugendlichen. Dabei macht jeder meiner Professorenkollegen (wie ich über drei Jahrzehnte) die Erfahrung, dass bis zu einem Jugendarbeitslosigkeit in den Mitgliedsstaaten der EU September 2013 Entwicklung der Anzahl der Auszubildenden in Deutschland Anteil der Studienabbrecher Spanien 56,5% 2011 1.460.658 Deutschland 33,2% Frankreich 26,1% 2010 1.508.328 OECD 31% Europäische Union Deutschland 23,5% 7,7% 0% 0 20% 40% 60% 80% 100% Quelle: Eurostat 1.571.457 2009 1.613.343 2008 0 200 Quelle:BIBB; Statistische Ämter des Bundes und der Länder Frankreich Japan 10,8% 21% 0% 0 10% 20% 30% 40% 50% Quelle: OECD P.T. MAGAZIN 1/2014

P.T. MAGAZIN 1/2014 Drittel der Studierenden den falschen Lernort gewählt haben. Es handelt sich nicht um Minderbegabungen, sondern um andere Begabungsprofile, die auf anwendungsorientiertes Lernen besser ansprechen als auf wissenschaftliches. Die hohe Abbrecherquote an Hochschulen belegt es eindrucksvoll. Lernen in Betrieben – kostengünstig und integrationsstark Das duale System ist ein Glücksfall für Deutschland (und Österreich sowie für die Schweiz). Es hat sich aus den mittelalterlichen Zünften und Gilden heraus entwickelt und in seiner langen Geschichte rechtliche, mentale und didaktische Strukturen entwickelt, die nur in Grenzen exportfähig sind. Während die Betriebslehre für die deutsche Wirtschaft zu ihrem Selbstverständnis zählt, fänden es z. B. französische Patrons als Zumutung, junge Menschen auszubilden und sie auch noch dafür bezahlen zu müssen. Daher scheitern so viele berufspädagogische Exportversuche oder verheddern sich in transfersperrigen Schwierigkeiten wie in China (vgl. Handelsblatt Nr. 190/2013). Gewiss, auch die Betriebslehre in Deutschland weist Mängel auf, ich beschreibe sie in der „Berufsbildungspolitik“ ausführlich. Der kostbarste Kern des dualen Systems ist das betriebliche Erfahrungs- oder Ernstlernen, das zeitlich und inhaltlich aber immer mehr zurückgedrängt wird. Lernen an Arbeitsplätzen erzieht zur Konzentration und Ausdauer, es prägt die Persönlichkeit wie kein anderer Lerntyp, weil die Fehlertoleranz begrenzt ist. Lernen in Betrieben bietet auch die intensivsten und kostengünstigsten sozialen Integrationsleistungen, besonders für Jugendliche mit Migrationshintergrund. Die makroökonomische Fehlausbildungsquote der Betriebslehre unterschreitet diejenige der Akademikerausbildung und der rein schulischen Berufsausbildungen um ein Vielfaches. Unternehmen können nämlich im dualen System genau diejenigen Fachkräfte ausbilden, die sie benötigen. Die starke Konzentration auf akademische Ausbildung sorgt für volle Hörsäle zu Lasten der Betriebslehre. Bildungspolitiker kennen Betriebslehre nicht Wenn trotz dieser und weiterer positiver Effekte das duale System weniger angesehen ist als das akademische System, dann liegt das nicht zuletzt an der einseitigen Favorisierung der Bildungspolitiker, die in ihrer überwiegenden Mehrheit die Betriebslehre nicht kennen und sie insgeheim als Restverwertungssystem einschätzen. Die aktuellen Koalitionsverhandlungen liefern dafür einen schlagenden Beweis: Milliarden mehr für die Hochschulen, aber nicht einmal einen Blick auf die Ausbildungsbetriebe und Berufsschulen. Soviel lebenspraktische Blindheit hat parteipolitisch Tradition. Das duale System entsprang Initiativen von unten (Innungen und Gilden) und hat eher im Stillen seine volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wohlstands- und Stabilitätsleistungen vollbracht. Man sollte es wenigstens nicht schwächen, indem man mit dem Akademisierungswahn die Fehlallokationen noch subventioniert und bejubelt. n Über den Autor n Prof. Dr. Erich Dauenhauer war von 1971 bis 2003 Lehrstuhlinhaber für Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftspädagogik an der Universität in Landau/Pfalz. Er lehrt noch als Emeritus an seiner Alma Mater. Buch zum Thema (Foto: Wolfgang Küting wkueting/Flickr.com) n Berufsbildungspolitik, 4. Auflage, 384 Seiten Bezug zum Direktpreis 34,- Euro über WALTHARI-Verlag, Postfach19, 66979 Münchweiler E-Mail: dauenhauer@walthari.de

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