Gesellschaft 18 Verschleppt im Hisbollah-Land Gebrochene Region: Der Syrienkonflikt hat längst die Nachbarstaaten erreicht. Im Libanon wurde der Journalist Billy Six verschleppt. Eine Innenschau. „Nur ein Foto, in Ordnung?“ Hassan ist einverstanden. Der 27 jährige „Geschäftsmann für alles“ ist Aktivist der berüchtigten Schiiten-Organisation „Hisbollah“ im Kleinstädtchen Bodnayel/ Nordost-Libanon – und seit gestern auch mein Aufpasser. Vielleicht sogar mein Freund. Dass dieser Ausflug in die Krisenregion jedoch unverhofft in einer Entführung mündet, kann wenige Minuten zuvor noch niemand ahnen. Nur 100 Meter sind es von Hassans privater Milchkuh-Anlage zur vielbefahrenen Hauptstraße, welche die hiesige Bekaa-Ebene von Nord nach Süd verbindet. Überlebensgroß wacht ein für alle Fahrzeuge weithin sichtbares Porträt des iranischen Ajatollah Khomeini über die Szenerie. Die Bilder sind schnell gemacht. Und die Aufmerksamkeit der Umwelt ist mir sicher. Ein arg mitgenommener Pkw, Typ 70er Jahre, hält an der Seite. Der bullige Fahrer tritt auf mich zu – und wirkt nur unter Mühen angespannt freundlich. Auch ohne profunde Arabisch- Kenntnisse ist mir klar: Er hat ein Problem mit fotografierenden Ausländern. Illusion einer scheinbar normalen Kontrolle Um die Situation zu entkrampfen, drücke ich ihm einen von Hassan signierten Zettel in die Hand. Ohne mit der Wimper zu zucken, deutet er mir, „das Problem klären“ zu müssen. Ich denke mir nichts dabei, zu seiner verschleierten Frau und den beiden Kindern ins Auto zu steigen. Bei den schiitischen Muslimen im Libanon ist es (derzeit) normal, dass Fremde argwöhnisch betrachtet werden – und sich vor den Lokalkomitees zu verantworten haben. Auf ähnliche Weise habe ich gestern auch Hassan kennengelernt. Unbeschwertes Reisen ist aktuell nicht mehr in allen Teilen des Zedernstaates möglich. Die Schiiten bilden dabei ein ganz besonders enges Gesellschafts- Netzwerk. Zusammenzustehen – dies ist das Geheimnis, wie die Parteianhänger des Propheten-Schwiegersohns Ali über 1.300 Jahre neben den Feinden der sunnitischen Mehrheitskonfession zu überleben wussten. Doch diesmal wird alles anders sein. In einem Kebab- Geschäft soll ich warten. Den beiden Tee trinkenden Männern gegenüber reiche ich freundlich die Hand. Wenig beeindruckt schauen sie zu wie „mein Fahrer“ und der Ladeninhaber den Inhalt meines Ausflugsrucksacks inspizieren. Verhängnisvolles Foto 1: ein Bild von Ajatollah Khomeini am Straßenrand P.T. MAGAZIN 1/2014
Hisbollah-Chef Nasrallah (rechts) – Hand in Hand mit Assad Für den wiederholten Hinweis auf Hassan und die Hisbollah aus Bodnayel interessiert sich keiner. Als der grobschlächtige Herr meines Schicksals ein kompromittierendes Bild aus meinem Fotoalbum zieht, kippt die Stimmung endgültig. „Terrorist“, murmeln sie. „Einer von denen.“ Soweit reicht mein aufgeschnappter Arabisch-Wortschatz dann doch. Die Aufnahme aus dem letzten Jahr zeigt mich im Syrien-Krieg, wie ich auf einem Blindgänger der Luftwaffe posiere – zusammen mit Rebellenkämpfern. Ein deutscher Dschihadist? 170 von ihnen sollen ja tatsächlich im Nachbarland gegen den Staat von Präsident Assad kämpfen, schätzt Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen. Und die Schiiten des Libanons stehen fest an der Seite der syrischen Regierung, deren Machtverlust eine weitreichende Herrschaft sunnitischer Extremisten nach sich ziehen könnte. Hier wird kein Spaß verstanden Es wird nicht lange gefackelt: Mein Desperado spricht sich kurz ab. Dann stülpt er mir unversehens zwei knisternde schwarze Plastiktüten über den Kopf, und fixiert diese auch noch. Bevor meine Hände auf dem Rücken gefesselt werden, bleibt mir ein kurzer, vielleicht lebensrettender Moment: Mit dem rechten Zeigefinger steche ich ein Loch durch die Gesichtsumhüllung. Mit Nachdruck wird mir bedeutet, den Hintern in Bewegung zu setzen. Noch bevor mein Tageslicht erlosch, hatte ich von meinem Warte-Stuhl aus sehen können wie der Kofferraum des Verschlepper-Taxis geöffnet wurde. Genau hier werde ich nun hineingedrückt – und die Klappe mit dumpfem Schlag verschlossen. Während das Fahrzeug brummend und ruckelnd beschleunigt, liege ich auf dem Rücken – in einer eher ungemütlichen Lage. Es wäre jetzt normal, in panische Angst zu verfallen. Doch der Verstand sagt mir: „Das hat keinen Sinn.“ Mein Unterbewusstsein geht, wohl aus Selbstschutz, noch einen Schritt weiter: „Langweilig! Das kennst Du schon.“ Ich verwerfe diesen abwegigen Gedanken, und gehe mit mir ins Gericht: Warum nur setze ich mich stets dieser Gefahren aus? Von Orten zu berichten, die sonst niemand sieht, ist schön und gut. Die Abenteuerlust auch. Aber stets mussten auch andere, wie die Familie oder der diplomatische Dienst, unter meinen Fehlern leiden. Zuletzt saß ich von Dezember 2012 bis März 2013 in Haft der syrischen Staatssicherheit, nachdem mich die Armee wegen illegaler Einreise und Terrorismusverdachts mitten auf dem Bürgerkriegsschlachtfeld festgenommen hatte. Mit teils zynischem Optimismus ließen sich die Wochen in der Einzelhaft ertragen. P.T. MAGAZIN 1/2014 Verhängnisvolles Foto 2: ein Spaßfoto mit Rebellen in Syrien. (Fotos: Billy Six) Durchhalten ist angesagt Dass der menschliche Körper unheimlich belastungsfähig ist, hatte ich noch kurz vor der Syrien-Reise von einem Psychologen auf einem fünftägigen Kriegsreporter-Seminar der Bundeswehr im unterfränkischen Hammelburg gelernt. Ebenso, nicht den Helden zu spielen, wenn die Flucht-Chancen nicht offenkundig gut stünden. „Beim Zugriff steht auch der Täter unter Stress“, so der erfahrene Geistesanalytiker damals. Atem- und Entspannungstechniken, sowie positives Denken oder positive Selbstinstruktion wären der Schlüssel, die Situation von einer Minute zur nächsten zu ertragen. Voller Zuspruch! Eine Karikatur ist mir besonders im Gedächtnis geblieben … Ein Kaninchen, das spricht: „Toll, endlich mal ’nen Wolf.“ Allerdings: Meine Familie, so denke ich, soll nicht noch einmal Angst-Strapazen durchlaufen müssen … Der Wagen
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