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P.T. MAGAZIN 01/2013

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Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung

Wirtschaft Der „stille

Wirtschaft Der „stille Angriff“ Über die Wirkung der vernetzten Ökonomie „Digitaler Darwinismus“ ist ein kerniger und provokanter Begriff, um die sich abzeichnenden Effekte der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung zu beschreiben. „Aber um nichts anderes geht es momentan in der Wirtschaft. Es geht um einen Überlebenskampf, den über lange Jahrzehnte erfolgreiche Unternehmen wie Quelle und Neckermann schon verloren haben, und dessen Ausgang bei erfolgsverwöhnten Unternehmen wie Sony, Nokia und dem Blackberry- Hersteller Research in Motion oder auch Karstadt nach wie vor offen ist. Dabei zeigt sich: Es geht nicht mehr um Größe, es geht nicht unbedingt um Schnelligkeit, es geht nicht alleine um das Ausmaß der Anpassung und Stärke. Heute gilt vielmehr: ‚Survival of the smartest’“, schreiben Professor Ralf T. Kreutzer und Microstrategy-Manager Karl-Heinz Land in ihrem neuen Buch „Digitaler Darwinismus – der (stille) Angriff auf Ihr Geschäftsmodell und Ihre Marke – Welche Macht Social Media wirklich innewohnt“ (erscheint demnächst im Gabler Verlag). Führungskräfte wachrütteln Die beiden Autoren wollen die verschlafenen Führungskräfte wachrütteln und dokumentieren, welche Auswirkungen die sozialen Medien und weitere onlinebasierten Entwicklungen auf etablierte Geschäftsmodelle und erfolgreich eingeführte Marken haben. Dabei ist es wenig hilfreich, wenn ständig nach Beweisen für die Profitabilität von sozialen Medien, Apps und des mobilen Internets gefragt wird. Return on Investment (ROI) bekommt eine ganz andere Bedeutung. MBA-Professor Erik Qualmann sagt: „We don’t have a choice whether we do social media, the question is how well we do it…. The ROI of social media is that your business will still exist in 5 years!“ ROI also zu verstehen als „Risk of Ignorance“. Ein Datum verändert die Wirtschaft Apps, On-Demand-Angebote, Streaming- Dienste, Online-Handel, Open Innovation-Projekte führen zu massiven Verschiebungen von industriell geprägten Industrien. Ein auf den ersten Blick eher unscheinbares Datum ist dafür mitverantwortlich, auch wenn es die Nachahmer heute nicht mehr wahrhaben wollen: Es ist der 9. Januar 2007 – kurz nach 9 Uhr Ortszeit und man vernimmt unter frenetischem Jubel des Publikums die Worte: „We’re gonna make some history together today.“ Der Redner in Jeans und Rollkragenpullover stellt drei neue Gadgets aus der Ideenschmiede seines Unternehmens vor: einen „Wide Screen iPod mit Touch Controls“, ein „Revolutionary Mobile Phone“ und einen „Breakthrough Internet Communicator“. All das – zur Begeisterung des Auditoriums – in einem einzigen Gerät. Man nennt es fortan iPhone: „Steve Jobs († 2011) hat an diesem Tag IT-Geschichte geschrieben. Jenes Gerät, das Jobs auf der Macworld in San Francisco vorstellte, hat praktisch keine Tasten. Die sind dem Redner viel zu unflexibel. Seine Idee: Jede Applikation will eine etwas andere Benutzeroberfläche, keine fest in Plastik gegossenen Knöpfe, sondern ein für den jeweiligen Bedarf optimiertes Interface“, erläutert Management-Professor Lutz Becker von der Karlshochschule. Für jede Lebenslage Die kleinen Programme wirken so niedlich und harmlos: Apps, die man in fast jeder Lebenslage einsetzen kann. Vom virtuellen Biertrinken bis zur Markierung des Autos vor dem Fußballstadion zur besseren Verortung im Gewusel von zehntausenden Fans, die sich nach dem Spiel auf den Heimweg machen. Für Professor Becker sind Apps mehr: „Steve Jobs löste eine disruptive Innovationswelle aus, die bereits heute Auswirkungen auf unseren Alltag, unsere Unternehmen und die Wirtschaft als Ganzes hat und zunehmend haben wird“. Davon bleibe fast keine Branche verschont. „Die entscheidende Innovation von Steve Jobs ist die Anpassung des Interface an den Benutzer“, sagt Becker. Die Aufgabe, die der Nutzer lösen möchte, bestimmt die Konzeption der App. Und wir sind noch in der Lernphase „In der Technikgeschichte kann man ablesen, dass sich immer die Technologie mit dem höchsten Rationalisierungsvorteil durchsetzt. Das hat etwas Bipolares. Zum einen schneller und billiger – also das Aldi-Prinzip. Zum anderen die Maximierung von Nutzen, Lust, Spaß (Foto: npbn/Flickr.com) und Freude. Steve Jobs hat mit seiner Benutzeroberfläche etwas vollbracht, was beide Seiten abdeckt“, meint Becker. Man könne das an der Informationstechnologie beobachten. Da dominierten riesige Projekt- Trümmer. „Jetzt hat man eine stabile Infrastruktur und drum herum Satelliten, die sehr anpassungsfähig sind – nämlich Applikationen. Apps passen sich perfekt dem eigenen Nutzungsverhalten an. Genau diesen Aspekt hat die IT-Branche lange Zeit vernachlässigt. Und wir sind noch in der Lernphase.“ Becker vergleicht das mit den ersten Fernsehprogrammen. Das waren bebilderte Radiosendungen: „Bei Fußballübertragungen ist das teilweise noch heute so. Das Fernsehen hat 30 bis 40 Jahre gebraucht, um eine eigene Sprache und Ästhetik zu entwickeln. Das ist ein Prozess, den wir in den nächsten Jahren auch bei den Apps sehen werden.“ Was in deutschen Chefetagen noch nicht verstanden wird Was mit der App-Technologie begann, werde sich auf andere Sektoren auswirken. Immer mehr Benutzerfreundlichkeit und bessere Interface-Anpassung an den Menschen. Am Beispiel der Kundendialoge könne man das gut beobachten. Eine App lokalisiert, personalisiert und bringt punktgenaue Informationen: „Sie ist zudem günstiger als ein Call Center. Für den Anwender ist allerdings die Vereinfachung entscheidend“, glaubt Becker. Diese Erkenntnisse seien allerdings in vielen Chefetagen deutscher Unternehmen noch nicht angekommen. „Wenn Unternehmen sich bei der Einführung neuer Servicekonzepte mehr den Chancen zuneigen würden, als mögliche Risiken zu minimieren, würde der deutsche Tanker schneller Fahrt aufnehmen können. Die Fähigkeit der Smartphones, ihre Benutzer zu lokalisieren, zu identifizieren und genutzte Dienste zu personalisieren wird die Wirtschaftskräfte durcheinander wirbeln“, so die Überzeugung von Süleyman Arayan, Gründer und Vorstandschef der Ityx- Gruppe in Köln. Längst werde Mobilfunk häufiger für Internet-Dienste genutzt als für seine ureigene Bestimmung: das Telefonieren. „Ein Smartphone ist schon längst kein reines Telefon mehr. Es ist ein Smart Service Terminal und ändert fundamental unser Wirtschaftsleben – als Konsument und als Anbieter“, betont Karl-Heinz Land, Chief Evangelist von Microstrategy. Wie sich traditionelle industrielle Produkte und Dienste verändern „GPS, Apps und andere Gadgets machen Geschäftsmodelle möglich, die die bestehenden Paradigmen nicht nur in Bezug auf Markt und Wettbewerb, sondern auch auf Wertschöpfungsketten und Organisation im Unternehmen über den Haufen werfen – und wir stehen erst ganz am Anfang“, betont Professor Becker. Wichtig ist vor allen Dingen die Immaterialität, mit der bestehende Grenzen eingerissen werden. Warum soll ich denn noch in die Videothek marschieren, um mir eine DVD auszuleihen, wenn die Apple-TV-Box am Fernseher alles Nötige bietet und sogar über das bestehende Angebot hinausgeht – wie Vorschau, Suchfunktionen oder längere Mietzeit. Die App-Economy, so Becker, lässt traditionelle Industrieprodukte und Dienstleistungen smart werden. Digital wird analog „Big Data”, „Mobile” und „Social” erfordern ein neues Denken der Manager. Karlheinz Land umschreibt es mit „Zero Gravity Thinking”. Derzeit erlebe man, wie aus dem Handy-Display der „First Screen“ wird: „Das Smartphone begleitet uns durch den Alltag. Es ist morgens das Erste und abends das Letzte, was wir uns anschauen: E-Mails checken, auf Facebook und Twitter kommunizieren und natürlich auch telefonieren. Aus herkömmlichen Anwendungen werden jetzt Apps, die wir mobil abrufen. Alles wird aus der analogen Welt in die digitale Welt gezogen.“ Auch die Kreditkarte, die heute noch ein Stück Amazon ist der digitalisierte Einzelhandel (Foto: William Christiansen/Flickr.com) Plastik sei, wird zur App. „Dadurch verliert sie ihre physischen Limitierungen. Wenn ich jemandem meine Plastik- Kreditkarte gebe, dann hat er sie, dann habe ich sie nicht mehr. Wenn ich aber jemandem meine Software-Kreditkarte oder den Zugriff auf meine Software- Kreditkarte übertrage, dann verfüge ich trotzdem noch darüber. Die physikalischen Limitierungen eines Objektes verschwinden. Damit können ganz andere Funktionen bereitgestellt werden, an die man bislang noch gar nicht denkt“, sagt Land. Der Wegfall physikalischer Beschränkungen Das sei mit „Zero Gravity Thinking” gemeint: Ein Objekt verliere sämtliche physikalische Beschränkungen. Selbst die physische Präsenz sei nicht mehr entscheidend, wie man beim stationären Handel beobachten kann. Egal ob Walmart, Kmart oder Metro. „All diese großen Unternehmen haben in den vergangenen fünf Jahren Umsätze verloren – zwei, drei Prozent jährlich. Das ist noch nicht dramatisch. Gleichzeitig ist aber eine Firma wie Amazon entstanden, die jedes Jahr um 15, 20 oder 30 Prozent gewachsen ist und demnächst vor der 100 Milliarden Umsatzgrenze steht. Amazon hat Umsätze sozusagen ‚gehijackt‘. Der Online-Gigant überträgt die Umsätze seiner Kunden von der realen, der physikalischen Welt in den Cyberspace“, erläutert der Microstrategy- Manager. 32 P.T. MAGAZIN 1/2013 1/2013 P.T. MAGAZIN 33

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